Der 13. Engel
nötig gewesen. Alleine die Anwesenheit des Straßengauklers gab Amy bereits ein Gefühl der Sicherheit.
»Es freut mich, dich wiederzusehen, Lucia«, sagte er sanft.
»Ich weiß, weshalb du hier bist, aber ich werde es nicht zulassen. Nicht dieses Mal. Amy gehört mir!« Sie winkte Mr Fraud an ihre Seite. »Du hast keine Chance. Dein Auftauchen hat die anderen aufgerüttelt. Es wird nicht lange dauern, bis sie hier eintreffen.«
»In diesem Fall sollte ich mich besser beeilen.« Cornelius warf sein Cape über die Schultern.
»Wage es ja nicht«, krächzte Mr Fraud.
Der Gaukler ignorierte die Drohung. Er rief Amy zu: »Weißt du noch, was die alte Frau euch über Lucia erzählt hat?«
»Was sagst du da?«, kreischte Lucia, die nun vollends die Kontrolle über sich verloren hatte.
Amy erinnerte sich nur zu gut. Wenn es stimmte, was die Alte gesagt hatte, konnte Lucia ihnen kein einziges Haar krümmen. »Ist es denn wahr?«
Er lachte. »Vertrau mir!«
»Was wissen sie über mich? Sag es mir!« Lucia gebärdete sich wie eine wilde Furie. Sie raufte sich das schwarze Haar, als wäre sie dem Irrsinn verfallen. »Du hast mich hintergangen, du Narr! Ich werde dich zermalmen, ja, ich werde …« Plötzlich schossen ihre Hände auf Cornelius zu, als wollte sie ihm das Gesicht zerkratzen.
Er wich zurück. Amy sah Furcht in seinen Augen aufflackern. »Flieht«, stieß Cornelius hervor. »Schnell!«
»Wir können dir helfen«, widersprach Amy.
»Das könnt ihr nicht.« Er tauchte unter Lucias ausgestreckten Händen hinweg, die in einem grellweißen magischen Licht erglühten, das sich nach allen Seiten hin ausdehnte. »Tut … was ich sage«, keuchte er. »Rasch, bevor es zu spät ist!«
»Halte sie auf!« Lucia verpasste Mr Fraud einen Stoß, der ihn in Richtung Amy und Finn stolpern ließ. »Sie dürfen nicht entkommen!«
Zum Glück war der Tisch zwischen ihnen, sodass Amys ehemaliger Hauslehrer sie nicht erreichen konnte. »Ihr werdet schön hierbleiben«, zischte er.
Amy musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen und geschürzten Lippen. Ob für ihn das Gleiche galt wie für Lucia? Nun, sie würde es herausfinden. Angriffslustig trat sie hinter dem Tisch hervor.
Finn keuchte.
»Ich warne dich, Amy!«, rief Mr Fraud mit mahnendem Zeigefinger. »Ich werde euch …«
»Gar nichts werden Sie.« Amy bohrte ihm einen Finger in die Brust. »Sie können uns nämlich nichts tun!«
Mr Frauds Miene hatte sich in eine zornerfüllte Grimasse verwandelt. »Du wirst gleich erleben, was ich alles kann.« Seine Hand schloss sich wie ein Schraubstock um Amys Arm – wobei ein Ausdruck von Ekel über sein Gesicht huschte – und er rüttelte sie so kräftig, dass ihr Kopf hin und her flog.
»Ist das schon alles?«, fragte Amy und bohrte ihm mit aller Kraft den Absatz ihres Stiefels in den Fuß.
Mr Fraud wurde erst weiß, dann grün und wechselte schließlich zu violett, weil er den Schmerzensschrei zu unterdrücken versuchte, der ihm in der Kehle brannte. Da trat ihm Amy auch noch auf den anderen Fuß. Der kleine Mann heulte auf wie ein Schlosshund, dennoch lockerte er den Griff um ihren Arm keinen Deut. Wie ein Ertrinkender klammerte er sich an sie, um sie an der Flucht zu hindern.
»Lassen Sie sie sofort los«, schrie Finn. Schon war er an Amys Seite, holte mit dem Fuß aus und pfefferte ihn gegen Mr Frauds Schienenbein. Es knackte, als bräche ein trockener Ast. Mr Fraud versteifte sich. »Du … du …« Er verdrehte die Augen, sodass nur noch das Weiße zu sehen war, und fiel in Ohnmacht.
Amy war frei.
»Nichts wie weg hier«, drängte Finn und schnappte sich ihre Mäntel.
Die beiden liefen zur Tür. Kurz bevor sie durch den düsteren Hausflur entschwanden, sah Amy noch einmal zurück. Cornelius und Lucia standen sich wie zwei wilde Tiere gegenüber, die um das gleiche Territorium kämpfen. Eine Blase aus Licht umhüllte die beiden, wie der goldene Schein eines mächtigen Feuers, und knisterte und sprühte Funken an den Rändern, wo sie an einen Schrank, Stuhl oder die Wand stieß. Im Inneren des Lichtes zuckten schwarze Blitze zwischen den Kämpfenden hin und her, fraßen schwelende Löcher in ihre Kleidung oder hinterließen glühende Striemen auf ihrer Haut.
Amy, die das nicht länger mit ansehen konnte, wandte den Blick ab. Inzwischen hatte Finn die Haustür erreicht, riss sie auf und stolperte nach draußen. »Wo bleibst …« Sein Ruf wandelte sich in einen Schmerzensschrei, der Amy durch Mark und Bein
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