Der 13. Engel
davon. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Noch nie hatte jemand so etwas Nettes für mich getan. Also lief ich ihm nach, um mich für seine Hilfe zu bedanken.« Er hob seine leere Tasse und hielt sie Amy hin. »Bekomme ich noch etwas Wasser? Mein Mund ist schon ganz trocken.«
Amy schnaubte. Gerade jetzt, wo es spannend wurde! Rasch flitzte sie nach nebenan, riss den Pumpschwengel in die Höhe und drückte ihn mit solcher Kraft wieder herunter, dass der herausschießende Wasserstrahl den Becher durch die halbe Waschküche katapultierte. Amy verdrehte die Augen, hob ihn wieder auf und ging dieses Mal behutsamer zu Werke.
»Erzähl schon weiter«, forderte sie ungeduldig, kaum dass Finn den ersten Schluck getrunken hatte.
»Ist ja schon gut«, sagte er lachend und stellte den Becher zur Seite. »Ich lief ihm also nach und fragte ihn, wie ich meine Schuld begleichen könnte. Zuerst wollte er nichts davon wissen. Ich blieb jedoch hartnäckig, also schlug er mir vor, ihm für den Rest des Tages beim Unkrautjäten im Garten deiner Tante zu helfen.«
»Und weiter?«
»Irgendwie muss ich ihn beeindruckt haben«, sagte Finn nicht ohne Stolz in der Stimme. »Am Abend fragte er mich, ob ich bei ihm in die Lehre gehen wollte. Von da an wurde mein Leben um ein Vielfaches besser. Nun ja, bis das hier alles passiert …« Seine Worte gingen in einem zornigen Fauchen unter. Holzscheite klapperten. Amy sprang mit klopfendem Herzen auf und starrte auf den Brennholzstapel. Er befand sich in der vom Kamin am weitesten entfernten Ecke des Zimmers und war in nächtliche Dunkelheit gehüllt. Noch einmal war das Fauchen zu hören, dann war alles wieder still.
»Kannst du was sehen?«, fragte Finn mit großen Augen. Er hatte sich über die Rückenlehne des Sofas gebeugt.
Amy schüttelte den Kopf.
Plötzlich bewegte sich ein heller Fleck zwischen den dunklen Holzscheiten. Eine Katze kam geschmeidig herausgesprungen und trottete auf lautlosen Pfoten in den flackernden Lichtkreis des Feuers. Es war die gleiche Katze, die Amy vor ein paar Tagen gefüttert hatte. In ihrem Mäulchen trug sie eine tote weiße Ratte.
»Einer von Lucias Spionen«, murmelte Amy erschrocken. »Er muss uns hierher gefolgt sein.« Sie beugte sich herab, um die Katze im Nacken zu kraulen. »Gut gemacht.« Die Katze schnurrte behaglich. Nach einer Weile riss sie ihr Mäulchen auf und gähnte herzhaft. Anschließend trottete sie zum Kamin herüber, um sich davor zusammenzurollen.
Amys Blick kehrte zu der toten Ratte zurück. »Wir sollten sie verbrennen«, sagte sie. »Es ist eins von Lucias Geschöpfen. Wer weiß, ob es überhaupt eine echte Ratte ist.« Sie packte das Tier an der Spitze seines haarlosen Schwanzes und warf es in die Flammen. Innerhalb eines Augenblicks schrumpelte die Ratte zu einem schwarzen Klumpen zusammen, als wäre sie nie etwas anderes gewesen als ein Stück Kohle.
Nachts im Park
Am nächsten Morgen war die Katze mit den ungewöhnlich blauen Augen verschwunden. Amy war es ein Rätsel, wie sie aus dem Zim mer gekommen war. Weder das Fenster noch die Tür standen offen. »Katzen finden überall einen Weg raus«, erklärte Finn und biss in ein Stück Brot vom Vortag. »Du hast das gestern nicht ernst gemeint, als du sagtest, dass du zu dieser Spukruine willst, nicht wahr?« Hoffnungsvoll blickte er sie an.
Amy rollte mit den Augen. »Ich dachte, ich hätte dir klargemacht, warum ich dort hinmuss.«
»Ist ja schon gut«, murrte Finn. »Es hätte ja sein können, dass du deine Meinung inzwischen geändert hast.«
Amy kniff die Augen zusammen. »Du hast Angst.«
»Hab ich nicht«, erklärte Finn empört.
»Ich hab auch Angst. Was ist so schwer daran, es zuzugeben? Glaub mir, es wird dadurch nur leichter.«
Finn war aufgesprungen. Nun stand er breitbeinig da, die Hände in die Hüften gestemmt, und verkündete herausfordernd: »Von mir aus können wir sofort aufbrechen!«
Amy kicherte.
»Was ist so komisch?«, fragte Finn finster.
»DU großer Held!« Sie klopfte neben sich aufs Sofa. »Komm, setz dich wieder hin. Wir können noch nicht gehen.«
»Warum nicht?«
»So sauer, wie Lucia in Mr Frauds Haus war, wird sie sich inzwischen doppelt anstrengen, uns zu finden. Es ist also besser, wir warten, bis es dunkel ist.«
»Du glaubst, dass sie noch lebt, ja? Ich meine, der Kampf zwischen ihr und dem Gaukler sah ziemlich gefährlich aus.«
»Ich mache mir mehr Sorgen um Cornelius«, sagte sie. »Immerhin hatte Lucia noch Mr Fraud an
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