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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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dass ich es nur ungern mache. Und nicht, weil ich Angst um mich habe, sondern …« Er brach ab.
    »Danke«, sagte Amy noch einmal.
    Rund eineinhalb Stunden später betraten sie den Stadtpark aus südlicher Richtung. Finn hatte sich für diesen Zugang entschieden, weil er fernab jeglicher Gaststuben, Spelunken und Spielhöhlen lag, die erst bei Nacht so richtig zum Leben erwachten. Er wollte es tunlichst vermeiden, dabei gesehen zu werden, wie sie sich in den Park schlichen. Abgesehen von Lucias Handlangern, die die Straßen und Gassen nach ihnen durchkämmen mochten, gab es noch die üblichen Gefahren, die in einer Großstadt wie dieser lauerten: streitsüchtige Trunkenbolde, raffgierige Straßendiebe, eiskalte Mörder.
    Kaum hatten Amy und Finn den Park betreten, brach die Wolkendecke über der Stadt auf und der Mond tauchte alles in ein gespenstisch weißes Licht. Alte knorrige Bäume schoben sich links und rechts des Pfades aus der Dunkelheit. Dahinter lagen weite leere Wiesen, über die bleiche Nebelschwaden zogen. Und nun kam auch noch Wind auf, fuhr raschelnd durch die Blätter und erweckte den Eindruck, als seien sie von geisterhaften Stimmen umgeben. Unwillkürlich drängte sich Amy enger an Finn.
    »Ich habe dir gleich gesagt, wir sollten nicht hierherkommen.«
    »Sieh nur!« Amy war stehen geblieben und klammerte sich an Finns Ellbogen. Mit der anderen Hand deutete sie auf eine schwarze Gestalt, die auf einem Hügel am Ende des Pfades stand und in ihre Richtung starrte.
    Finn stöhnte auf. »Das ist mein verletzter Arm.« Er löste sich aus ihrer Umklammerung. »Und das da vorne ist bloß eine Statue.«
    »Bist du sicher? Es sah aus, als hätte sie sich bewegt.«
    »Das kommt vom Nebel.« Er wandte ihr das Gesicht zu, das bei diesem Licht grau und kränklich wirkte. »Wir sind jetzt ganz in der Nähe der Spukruine.«
    Plötzlich war Amy sich gar nicht mehr sicher, ob sie wirklich dort hinwollte. Vorhin war sie fest entschlossen gewesen, nichts hätte sie umstimmen können. Doch jetzt, da sie hier waren, verstand sie nur zu gut, warum Finn nicht hatte herkommen wollen. Der Park sah bei Nacht so anders aus, als wäre er durch die Dunkelheit zu einem Teil einer anderen Welt geworden. Einer, in der Albträume wahr werden konnten, in der diese alten Bäume plötzlich lebendig wurden und ihre knarzenden Äste wie Klauen nach ihnen ausstreckten. Oder Dinge aus dem Nebel angekrochen kamen, die schlimmer waren als jede Fantasie.
    »Das ist nur der Eiserne Mann, das Denkmal eines berühmten Zauberers, an den sich wahrscheinlich niemand mehr erinnert«, fügte Finn beruhigend hinzu. »Inzwischen sehen die meisten so eine Art Warnung in ihm, die die Abzweigung zur Spukruine markiert.«
    Amy starrte auf die schwarze Gestalt. Und wenn Lucia die Statue nun verhext hatte und sie nur darauf wartete, bis sie sich ihr so weit genähert hatten, dass sie sich auf sie stürzen konnte? Krampfhaft versuchte sie den Kloß herunterzuschlucken, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. »Gehen wir weiter«, murmelte sie, ohne die Figur auch nur einen Moment lang aus den Augen zu lassen.

Die Spukruine
    Die Ruine sah genauso aus, wie sich Amy ein verfallenes Spukhaus vorstellte. Groß und düster thronte sie inmitten eines verwilderten Gartens. Ein Teil des Hauses war eingestürzt, das meiste stand aber noch. Es gab ein schiefes Türmchen mit einem Wetterhahn auf der Spitze, der sich schaurig quietschend im Wind drehte. Amys Blick huschte über die Fenster. Schwärze, sonst nichts. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass jemand diese Ruine bewohnte. Und dann war da noch diese halb geöffnete Tür, die zum Eintreten geradezu einlud. Das behagte Amy überhaupt nicht. »Warum soll es da drin eigentlich spuken?«
    »Willst du das wirklich wissen?«, fragte Finn, der den Blick starr auf die Ruine geheftet hielt.
    »Ja.«
    »Es heißt, dass die Familie, die hier vor langer Zeit gewohnt hat, aus heiterem Himmel wahnsinnig geworden sei. Einfach so! Von einem Tag auf den anderen.« Er hatte die Augen weit aufgerissen, sodass sie nun groß und rund wie bei einer Eule waren. »Von da an hielt man sie in ihrem eigenen Haus gefangen. Niemand besuchte sie mehr, niemand sprach mehr mit ihnen. Man brachte ihnen natürlich zu essen, aber das war auch schon alles. Und dann, eines Nachts, stand ein Teil des Hauses plötzlich in Flammen.«
    »Haben sie es selber getan?«, fragte Amy atemlos.
    »So sagt man jedenfalls.« Finn erschauderte. »Bei dem Brand

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