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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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»Was ist es dann?«
    »Es geht um mich.« Mit hängenden Schultern begann Finn zu erzählen und wagte dabei kein einziges Mal aufzublicken, als fürchtete er sich vor dem, was er in Amys Gesicht lesen könnte. »Ich habe so getan, als hätte ich eine Familie, nur stimmt das nicht. Meister Chang ist alles, was ich habe. Er ist wie ein Vater für mich. Wer …« Er zögerte, bevor er mit bebender Unterlippe weitersprach. »Wer meine richtigen Eltern sind, weiß ich nicht. Sie haben mich als Baby vor der Tür eines Waisenheims ausgesetzt, wo ich gelebt habe, bis ich sechs war. Es war ein grauenvoller Ort.« Für einen kurzen Moment schloss er die Augen. »Sobald man halbwegs laufen konnte, musste man sich sein Essen verdienen. Meist liehen sie uns für ein bisschen Geld an Kaminkehrer aus, für die wir in die Abzugsschächte klettern mussten, die für Erwachsene zu schmal waren, um die Stellen zu reinigen, die man mit Magie nicht erreichen konnte. Es war schlimm! So eng und so dunkel. Jedes Mal, wenn ich in einen dieser Kamine kroch, fragte ich mich, ob ein Monster darin lauerte, das mich gleich verschlingen würde.« Er schüttelte sich. »Manchmal habe ich mich geweigert. Ich hatte schreckliche Angst. Aber dann haben sie mich einfach so lange hungern lassen, bis ich getan habe, was sie wollten.«
    Amy drückte die Hand auf den Mund, während sie mit wachsendem Grauen Finns Geschichte lauschte. Als sie es nicht mehr länger aushielt, flüsterte sie zwischen ihren Fingern hindurch: »Das ist furchtbar. Ich hatte ja keine Ahnung. Ich …«
    »Nicht«, bat Finn sie. »Sonst schaffe ich es nicht, zu Ende zu erzählen.« Mit dem Handrücken rieb er sich über die Augen. »Als ich sechs war, bin ich zusammen mit ein paar anderen Jungen und Mädchen weggelaufen. Wir haben es dort einfach nicht länger ausgehalten. Die meisten wurden jedoch bald wieder eingefangen oder gingen freiwillig zurück, weil ihnen das Leben auf der Straße noch trostloser erschien. Nur ich habe durchgehalten. Ich bin ihnen immer wieder entkommen, weil ich so klein war, dass ich in Verstecke schlüpfen konnte, in die kein Erwachsener passte. Und so gaben sie es irgendwann auf.«
    »Das ist eine sehr traurige Geschichte.« Amy berührte ihn zaghaft an der Wange, doch Finn drehte den Kopf weg. »Ich hatte Angst, deine Tante würde mich rauswerfen, wenn sie die Wahrheit herausfindet. Darum habe ich gelogen.«
    Amy seufzte. »Es stimmt, Tante Hester hat nichts für arme Menschen übrig. Sie hat sich selbst für mich geschämt, weil ich ihr zu schäbig angezogen war.«
    »Sie hat kein Herz.«
    Amy schnaubte. »Ich hasse sie!«
    »Hasst du mich jetzt auch?«
    »Wa-as?« Amy blinzelte ungläubig, dann lachte sie laut auf. »Wie kommst du bloß auf diese verrückte Idee? Ich finde es ganz bestimmt nicht gut, dass du mich angelogen hast. Doch du hast schon so viel für mich auf dich genommen, dass ich dir nie böse sein könnte. Nicht wegen so etwas.«
    Finn wirkte erleichtert.
    Mit einem Seufzer ließ Amy sich zurück ins Sofa sinken. »Ich hab mir gleich gedacht, dass du mir etwas verheimlichst. So gut, wie du dich in der Stadt auskennst. Besonders die Ecken, wo sonst niemand hingeht. Und dass du mit deiner Mutter am Markttag immer zum König-George-Platz gegangen sein sollst, war mir gleich verdächtig. Ich kenne keinen Jungen, der freiwillig mit seiner Mutter einkaufen geht.«
    »Ich war früher oft dort und habe bei den Bauern um Essen gebettelt. Oder welches gestohlen, wenn sie mir nichts geben wollten«, fügte er leise hinzu. »Was hätte ich sonst tun sollen? Verhungern?«
    »Und die Weberei?«, fragte Amy.
    »Sie war für einige Zeit mein Zuhause. Es war oft sehr einsam hier, trotzdem war es immer noch besser als in diesem scheußlichen Heim.« Grimmig starrte er in die Flammen. »Letztes Jahr im Winter ist es dann passiert. Ich wurde von einer Bauersfrau erwischt, als ich ein Brot zu stehlen versuchte. Sie wollte mich bereits der Polizei übergeben, da tauchte plötzlich Meister Chang auf. Er hatte wohl Mitleid mit mir. Er erklärte der Bauersfrau, dass ich zu ihm gehöre, und entschuldigte sich für mich. Anschließend bezahlte er das Brot und versprach ihr, mich zu bestrafen.«
    »Und? Hat er dich bestraft?«
    Finn schüttelte den Kopf. »Er gab mir das Brot und murmelte etwas davon, dass ich ihn an seinen Enkel erinnern würde. Ich habe nie rausgefunden, was das zu bedeuten hatte. Jedenfalls drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und ging

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