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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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ist die ganze Familie umgekommen, weil sie ja eingesperrt waren und nicht fliehen konnten. Und seitdem spuken sie in der Ruine herum und bestrafen alle, die ihre Ruhe zu stören wagen.«
    Amy zupfte nervös an einem Knopf ihres Mantels. »Ist das wirklich passiert?«
    »Es ist das, was die Leute sich erzählen. Mehr weiß ich auch nicht.«
    Ein kurzes Schweigen entstand.
    »Glaubst du an Geister?«, fragte Amy nach einer Weile. Noch immer hatten die beiden sich keinen Deut von der Stelle bewegt.
    »Ich weiß nicht, vielleicht.« Er wandte sich ihr zu. »Und du? Hast du deine Meinung geändert?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Warum fragst du dann?«
    »Ich könnte mich ja auch irren, nicht wahr?« Amy schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein, um die Angst niederzukämpfen, die in ihr aufwallte. Sie fürchtete sich nicht vor Geistern, Teufeln oder anderen Monstern, die in dieser Ruine lauerten. Nicht wirklich jedenfalls. Wovor sie sich fürchtete, war ihre eigene Fantasie.
    Noch einmal holte sie tief Luft. Sie musste in dieses Haus und mit Aurelius reden – für ihren Vater, der ohne sie verloren war, und für Prinz Henry, um das Königreich zu retten und damit letztlich auch sich selber. Langsam setzte sie sich in Bewegung. Schritt für Schritt näherte sie sich der Tür. Finn, der neben ihr ging, sah plötzlich aus, als müsse er sich übergeben.
    Amy streckte die Hand aus, um die Tür weiter aufzudrücken. Kaum hatte sie sie berührt, schwang diese mit solcher Wucht auf, als hätte Amy ihr einen harten Stoß versetzt. Gleichzeitig wehte ihr aus dem Inneren der Ruine ein eisiger Hauch entgegen, fuhr ihr durch Gesicht und Haare und ließ sie frösteln.
    Finn wich einen Schritt zurück. »Da drin lauert etwas Böses, etwas abgrundtief Böses«, keuchte er.
    Amy ignorierte ihn. Sie hatte sich entschieden. Schaudernd, aber entschlossen trat sie durch die Tür.
    »Nein, nicht!«, rief Finn und hastete ihr nach.
    Blasses Mondlicht fiel hinter ihnen durch die Tür und beleuchtete einen lang gezogenen Korridor, von dem mehrere Türen abzweigten. Gemälde, auf denen nichts mehr zu erkennen war, hingen schief an den Wänden oder lagen mit zerbrochenem Rahmen auf dem staubbedeckten Boden. Es ist so still hier, dachte Amy, so unglaublich still! Auch im Park hatten sie kaum einen Laut vernommen, aber hier war es, als wäre die Stille selber ein Geräusch. Ein grauenvoller, endlos langer Schrei, der die Ohren so vollkommen ausfüllte, als wäre man taub. Finn hatte recht. Mit diesem Haus stimmte etwas nicht!
    Erneut traf sie eine eisige Bö und brachte einen monströsen Kronleuchter über ihren Köpfen bedrohlich zum Schaukeln. Das Kristall klirrte schaurig und Staub und Mörtel regneten auf sie herab. Amy zog Finn rasch tiefer in den Korridor hinein. Vor der ersten Tür blieb sie stehen, klopfte an und öffnete sie. In dem Zimmer herrschte ein einziges Chaos. Heruntergerissene Vorhänge, umgeworfene Möbel, Tapete, die sich von den Wänden schälte … und alles mit einer flockigen Staubschicht überzogen. Hinter der zweiten, dritten und vierten Tür sah es nicht anders aus.
    »In diesem Haus lebt keiner«, wisperte Finn. »Mr Burbridge muss sich geirrt haben.«
    Amy stimmte ihm nur ungern zu. Andererseits hatte sie bisher kein Anzeichen dafür entdecken können, dass hier noch jemand außer ihnen war. Keine Fußabdrücke im Staub, keine herumliegenden Essensreste – diese Ruine hatte seit mindestens hundert Jahren niemand mehr betreten. Vielleicht sollte ich einfach mal rufen, dachte Amy. Sie öffnete den Mund, brachte jedoch keinen Ton über die Lippen. Sie traute sich nicht. Es lag an dieser sonderbaren Stille, die diese Ruine wie ein lebendiges Wesen bewohnte und die man besser nicht aufweckte.
    Sie entfernten sich weiter von der Haustür und es wurde noch dunkler um sie herum. Finn blickte immer wieder nervös über seine Schulter. Amy wollte ihn deshalb schon genervt ermahnen, als sie sich dabei ertappte, wie sie es selber tat. Es kam von diesem kribbelnden Gefühl im Nacken, als würden Dutzende unsichtbarer Augen sie beobachten.
    Dann begann der Spuk.
    Mit einem Mal dehnten sich die Schatten um sie herum aus und nahmen die Umrisse von Dingen an, die einfach nicht da sein konnten. Klauenhände, die sich nach ihnen ausstreckten. Schemen von affenähnlichen Gestalten, die über Wände und Decke jagten. Amy stellten sich die Nackenhärchen auf. Finn keuchte. Ein schwebender Ziegelstein kreuzte ihren Weg und

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