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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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sagte eine tiefe Stimme hinter ihnen.
    Amy fuhr herum.
    Nur wenige Schritte entfernt stand eine hochgewachsene Gestalt in einem langen, mit Flecken und Brandlöchern übersäten Kapuzenmantel. Schwarze Augen funkelten sie aus einem verhärmten Gesicht an, dessen untere Hälfte in einem dichten, zauseligen Bart verschwand. Amy nahm einen leichten Schwefelgeruch wahr, der den Mann umwehte. Wo war er so plötzlich hergekommen?
    »Was wollt ihr?« Seine Stimme erzeugte ein seltsam dumpfes Echo, als spräche er aus weiter Ferne oder durch eine dicke Wand zu ihnen. Einen Herzschlag lang blitzte vor Amys Augen das Bild eines winzigen, von lichtloser Finsternis und unheilbarem Kummer bewohnten Kerkers auf. Ein Gefängnis, aus dem es kein Entkommen gab. Sie keuchte und wankte einen Schritt zur Seite, wo sie sich an einem umgekippten Tisch abstützte.
    »Was hast du?«, fragte Finn.
    Sie nickte und starrte dabei unablässig den Fremden an. »Sie sind Aurelius?«
    »Wer will das wissen?«
    »Mein Name ist Amy, das ist Finn.« Sie räusperte sich, um das nervöse Kratzen aus ihrer Stimme zu vertreiben. »Wir … wir sind gekommen, um Sie zu der Geschichte der dreizehn Engel zu befragen.« Mit einem Mal schien es im Raum dunkler zu werden, obwohl das eigentlich nicht sein konnte. Denn nichts hatte sich geändert. Noch immer funkelten und glitzerten die Sterne über ihnen am Himmel.
    »Da seid ihr beim Falschen«, brummte Aurelius. »Diese verfluchten Geschöpfe haben nichts als Unheil über mich gebracht. Es gibt andere, die ihr befragen könnt. Und nun verschwindet. Verlasst dieses Haus auf der Stelle!«
    »Das geht nicht«, platzte Amy heraus. »Jeder, der etwas über die Engel weiß, ist verschwunden. Genauso wie die Statuen der Engel.«
    »Was sagst du da?« Aurelius stand plötzlich vor ihr, sein Gesicht auf gleicher Höhe mit ihrem. Sie blinzelte verwirrt. Wie hatte er sich so schnell durch den Raum bewegen können? Neben ihr gab Finn einen halb erstickten Laut von sich.
    »Sie sind nicht mehr in der Kathedrale?«, wollte Aurelius wissen. Seine mitternachtsschwarzen Augen funkelten vor Wissbegier.
    Amy schüttelte den Kopf. »Schlimmes geht in der Stadt vor. Eine Gruppe von Verrätern versucht Prinz Henry zu stürzen, der am Sonntag zum König gekrönt werden soll. Lord Winterhall will seinen Platz auf dem Thron einnehmen und wird dabei von mächtigen Zauberern unterstützt.«
    Aurelius trat einen Schritt von ihr zurück. »Was hat das mit den Engeln zu tun?«
    »Sie waren die Beschützer des ersten Königs …«
    »… und da dachtest du, sie würden euch in der Stunde der Not zu Hilfe eilen, was?« Aurelius brach in schallendes Gelächter aus. »Nie und nimmer!«
    »Bitte«, flehte Amy. »Sie müssen uns erzählen, was Sie wissen. Die Verschwörer haben meinen Vater ins Gefängnis geworfen. Und wenn es uns nicht gelingt, sie aufzuhalten, werden sie ihn zum Tode verurteilen.«
    Aurelius starrte sie überrascht an. »Ist das so?«, fragte er ganz leise, sodass Amy nicht wusste, ob er mit ihr oder nur zu sich selber gesprochen hatte. Ein Anflug von Kummer huschte über seine verhärmten Züge. Mit einem Ruck drehte er sich um und schritt auf ein Gemälde zu, das auf der gegenüberliegenden Seite des Saales über dem Kamin hing. Eine ganze Weile starrte er darauf, ohne etwas zu sagen. Amy hätte gerne gewusst, was auf dem Bild zu sehen war. Aber das Licht des Mondes war zu schwach und sie zu weit weg.
    »Vor langer Zeit habe auch ich eine Familie gehabt«, sagte Aurelius schließlich, ohne sich zu ihnen umzudrehen. »Was wollt ihr wissen?«
    »Wir haben herausgefunden, dass der erste König nicht der gute und weise Mann war, für den ihn alle halten«, sagte Amy. »Und dass es einen Fluch gab, aber nicht, was er bewirkt hat.«
    »Dann wisst ihr bereits mehr als die meisten Menschen.« Langsam wandte er sich wieder um. Er schien nun größer zu sein und sein Gesicht sah noch grimmiger aus. »Es war der Schwarze Stern, der den König veränderte und aus ihm einen machtgierigen und skrupellosen Kriegsherrn machte. Doch das ahntet ihr vielleicht schon«, sagte er mit einer Stimme, die die Luft im Raum zum Vibrieren brachte. »Der erste König war ein Dummkopf, ja, ein Dummkopf, der sich vom schönen Schein hat täuschen lassen.«
    »Vom schönen Schein hat täuschen lassen?«, wiederholte Finn mit gerunzelter Stirn, als Aurelius nicht gleich weitersprach.
    »Der Schwarze Stern besitzt gar keine Wunderkräfte und hat es nie getan.

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