Der 18 Schluessel
das Essen an die eines Kindes. Sein Umgang mit dem Besteck wirkte ungelenk, so als wäre er aus der Übung. Kälte mochte Danyal nicht, und er schien nicht recht einschätzen zu können, ob er zu warm oder zu kalt gekleidet war. Während des Essens schwitzte er und zog den Pullover aus, dann zog er ihn wieder an und wickelte sich zusätzlich in eine Decke. Aber mit Kleidung an sich ging er souverän um, und obwohl Eliana befürchtet hatte, Danyal würde sie fragen, wofür die Unterhosen waren, so wusste er es doch sehr genau. Es gelang ihr nicht, sich einen Reim auf sein Verhalten zu machen. Das musst du auch nicht, Frau Psychoanalyse. Nach dem Essen schickst du ihn weg.
Das Telefon holte Eliana aus ihren Gedanken. Sie stand vom Tisch auf und nahm den Hörer ab.
„Hallo Eliana, wie geht es dir?“
Es war ihre Mutter. „Hallo Mama!“ Wie so oft war das elterliche Timing perfekt. Sie hörte nur mit einem Ohr auf die Stimme am anderen Ende der Leitung. Danyal betrachtete interessiert die Wandsteckdose neben dem Esstisch.
„Ich wollte nur wissen, wann du am Weihnachtsabend zu uns kommst.“
Ach ja! Das hatte sie durch das Chaos ganz vergessen. Mit Unbehagen sah sie zu, wie Danyal vom Tisch aufstand und sich zur Steckdose hinunterbückte. „Ich komme abends, aber ich bringe Gabriel mit. Ich weiß niemanden, der ihn über die Feiertage versorgen könnte.“
Ein kummervolles Seufzen erklang am anderen Ende der Leitung. Eliana wusste, dass es jetzt wieder Zeit für die Predigt mütterlicher Sorgen war. „Kind, hast du denn noch immer niemanden gefunden, der dir gefällt? Die Sache mit Lukas ist so lange her, und du bist noch so jung. Du kannst dich doch nicht einfach vor der Welt und dem Leben verstecken.“
„Das hat nichts mit Lukas zu tun!“ Das war eine Lüge, aber sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken geschweige darüber reden. Die Sache mit Lukas war außerdem noch nicht lange her – kaum vier Jahre. Das war nicht lang ... nicht für diese Sache! Die Wahrheit war, dass sie sich an der Tragödie mit schuldig fühlte. Sie hätte die Zeichen als angehende Psychiaterin erkennen müssen. Ihre Mutter redete wie ein Wasserfall auf sie ein. Gleich käme die Mahnung, dass eine Katze auf Dauer keinen Menschen ersetzen konnte ... aber Eliana hörte gar nicht richtig zu. Die Steckdose hatte Danyals Interesse endgültig gefesselt. Mit einer Gabel machte er sich daran, in ihr herumzustochern.“
Eliana ließ den Hörer fallen und schrie: Nein, das darfst du nicht.“
Danyal ließ erschrocken die Gabel fallen und sprang zurück. Dabei stieß er an den Esstisch. Teller, Gläser und die Schüssel mit den Nudeln fielen mit einem Klirren zu Boden.
Danyal rührte sich nicht mehr. Aus dem Telefonhörer vernahm Eliana die aufgeregte Stimme ihrer Mutter. Hastig nahm sie den Hörer wieder auf. „Tut mir leid, Mama ... Gabriel hat gerade mit seinen Pfoten in der Steckdose rumgespielt.“
Ihre Mutter atmete hörbar aus. „Hat sich eher angehört wie ein Erdbeben!“
„Er hat mein Abendessen vom Tisch gefegt, als ich ihn verscheucht habe.“
„Ach so.“ Ihre Mutter schien endlich beruhigt. „Na ja, bring den Kater ruhig mit ... man kann das arme Tier ja nicht allein lassen. Irgendwie scheint mit seinem Kopf was nicht zu stimmen. Du hast wirklich kein Glück, was so was angeht.“
Eliana schwieg und spürte, wie ihr ein Klos in den Hals stieg. Danyal sah sie fragend an. Mittlerweile räumte er die Scherben vom Boden auf den Tisch.
Ihre Mutter räusperte sich. „Tut mir leid, Eliana ... ich hab es nicht so gemeint. Ich wusste nicht, wie sehr dich das noch immer belastet.“
„Schon gut, Mama. Ich komme am Heiligen Abend und bringe Gabriel mit.“ Sie verabschiedete sich und legte auf. Danyal hatte das Scherbenchaos beseitigt.
„Es tut mir leid“, entschuldigte er sich leise, da er ihre bedrückte Stimmung bemerkte.
„Du kannst doch nicht einfach mit einer Gabel in einer Steckdose stochern ... das ist gefährlich.“ Eliana konnte es noch immer nicht fassen. Selbst Kinder wussten das. Während sie die Scherben und das heil gebliebene Geschirr in die Küche trugen, fragte Danyal: „Wer ist Lukas? Dein ... Mann?“
Sie antwortete ihm nicht. Die Frage tat einfach zu weh. Sie hatte mal geglaubt zu wissen, wer Lukas war ... und war dann eines Besseren belehrt worden. „Hilf mir mal beim Abwasch“, gab sie Danyal stattdessen zu verstehen. Da konnte er nicht viel falsch machen ... hoffte sie zumindest. Danyal
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