Der 18 Schluessel
interessierte sich für alte Schriften und Kaligraphie. Wenn Danyal ihr schon nicht sagen wollte woher er kam, so würde sie es einfach selbst herausfinden. Das – so beschloss Eliana – war er ihr schuldig.
Obwohl vor allem Henning sich mit Kaligraphie und alten Sprachen beschäftigte, konnte auch er nichts zu den Zeichen auf dem Papier sagen.
Er schob seine Brille, die wegen seines zu schmalen Nasenrückens immer rutschte, hoch und kratzte sich die bereits früh bei ihm zutage getretenen Geheimratsecken. „Das ist kein Altgriechisch oder irgendeine bronzezeitliche Zeichen- oder Diagrammschrift ... ich habe so etwas noch nie gesehen, und ich kenne fast alle Schriften, die jemals geschrieben wurden, zumindest vom Sehen.“ Henning starrte auf die Symbole und drehte den Zettel in den Händen, als würde sich ihm dadurch der Sinn offenbaren. Doch das funktionierte augenscheinlich nicht. „Woher hast du den Zettel denn?“
„Ein Bekannter hat ihn bei mir liegen lassen“, gab Eliana bemüht gleichgültig zu.
„Warum fragst du ihn dann nicht?“ Henning schob ihr die Seite wieder hin. Offensichtlich glaubte er ihr die Geschichte mit dem Bekannten nicht, war aber rücksichtsvoll genug, das nicht offen zu sagen.
Eliana zuckte mit den Schultern. „Er ist gestern abgereist, und ich bin neugierig. Aber so wichtig ist es auch wieder nicht.“
Kerstin tauchte neben ihr und Henning auf und warf einen Blick auf die Schrift. „Dann stimmte das also doch mit dem nackten Mann?“
„Was für ein nackter Mann?“, wollte Henning wissen, und Eliana war ausnahmsweise einmal froh, als Frau Berns von ihrem Computer aufsah, in den sie die wöchentlichen Nachbestellungen für das Lager einhämmerte und tadelnd zu ihnen herüber sah.
Eliana steckte den Zettel zurück in ihre Rocktasche. Als sie vor drei Jahren bei Edel und Berns angefangen hatte, war Henning an ihr interessiert gewesen. Doch Eliana hatte ihn abblitzen lassen. Das hatte ihn gekränkt, doch da Eliana jeden abblitzen ließ, hatte er sich schließlich damit abgefunden, und es hatte ihr Verhältnis nicht getrübt. So sollte es auch bleiben, Eliana hatte keine Lust auf Eifersucht am Arbeitsplatz. Für den Rest des Vormittags sortierte sie das Regal mit den stadthistorischen Reiseführern und wartete, bis ihre Kollegen in die Mittagspause gegangen waren, um ihre Chefin anzusprechen.
„Frau Berns, ich würde heute gerne früher gehen.“
Gerade noch in die Bestelllisten der Verlage vertieft, sah ihre Chefin überrascht auf. „Gibt es dafür denn einen besonderen Grund?“
Ja, den gab es, aber er würde Frau Berns nicht beeindrucken. Es gab jedoch etwas, mit dem sie zu erweichen war, und Eliana kannte die Geheimwaffe. Sie benutzte sie möglichst selten, damit sie sich nicht abnutzte, deshalb zeigte sie auch immer Wirkung. Ihre Chefin war eine ausgesprochene Katzennärrin und zudem aktive Tierschützerin. „Es ist wegen meines Katers. Er frisst nicht und liegt nur noch herum. Ich glaube, es geht ihm nicht gut.“
Frau Berns Mitleid spiegelte sich in ihren Augen. „Ach, der Arme! Natürlich, gehen Sie ruhig. Die armen Kreaturen können sich ja nicht selbst erklären und uns sagen, was ihnen fehlt.“
Das habe ich auch mal gedacht, sinnierte Eliana, dann bedankte sie sich bei ihrer Chefin.
Um drei Uhr nachmittags verabschiedete sich Eliana von ihren Kollegen und machte sich auf den Weg über die Domplatte in Richtung ihrer Wohnung, tauchte im Gewusel des Weihnachtsmarktes unter, bis sie aus dem Sichtfeld der Buchhandlung verschwunden war. Sodann schlug sie einen anderen Weg ein – den zum alten jüdischen Viertel. Es war eine abwegige Idee, doch sie hatte sich in Elianas Kopf festgesetzt. Warum es nicht versuchen, hatte ihr eine nervtötende innere Stimme immer wieder zugeflüstert, während sie Bücher in den Regalen sortierte. Es gab noch jemanden, dem sie den Zettel zeigen konnte – Lukas! Ihre Mutter hatte recht; die Vergangenheit war vorbei ... vielleicht war es wirklich an der Zeit, Lukas in die Augen zu sehen.
Lukas hatte eine Zeit lang Theologie und Religionswissenschaften an der Universität Köln studiert, während sie ihren Abschluss in Psychologie angestrebt hatte. Irgendwann, und es war weder Eliana noch irgendjemand anderem zunächst aufgefallen, hatte Lukas jedoch begonnen, sich zu verändern. Es war langsam geschehen, aber stetig. Nur war sie so sehr mit ihrem Studium beschäftigt gewesen, dass sie die Signale übersehen hatte. Lukas
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