Der 18 Schluessel
durchstreiften und die Studenten nacheinander zum Verhör in einen zu diesem Zwecke bereitgestellten Hörsaal riefen. Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb sie sich verloren vorkam. Obwohl Eliana gedacht hatte, eine passende Einheitstracht zu den anderen Frauen zu tragen - Rock, Bluse mit Pullover und flache Schuhe, fühlte sie sich falsch gekleidet. Tatsächlich gab es an der Universität nur wenige Frauen, die ähnlich konservativ wie sie herumliefen. Zwar trugen die Studentinnen keine aufreizende Kleidung, aber Hosen sah man viel, ebenso wie frische und moderne Farben.
Eliana kam sich in ihrer Uniform vor wie ein Relikt aus der Vergangenheit. Sie hätte gut in eine Hauswirtschaftsschule der fünfziger oder frühen sechziger Jahre gepasst.
Trotz ihrer überraschend modernen Kleidung hatten die Studenten dieser päpstlichen Universität eines gemeinsam – sie strahlten kollektive Strebsamkeit aus. Ihre eigene Studentenzeit hatte Eliana anders in Erinnerung. Zwar war sie nie ein Partyluder gewesen, aber mit der Strebsamkeit hatten sie und ihre Studienkollegen es nun auch nicht gerade gehabt.
Eliana blieb stehen und gab die fruchtlose Suche in den weitläufig verzweigten Fluren auf. Sie hatte sich heillos verlaufen.
„Entschuldigung, darf ich vorbei“, sprach sie ein junger Mann in schwarzer Hose und blauem Hemd an, dem sie den Weg versperrte. Er sah blass aus und nahm sie gar nicht richtig wahr – seine Blicke wanderten ständig umher, und er war nervlich angespannt. Aber er sprach Deutsch! „Können Sie mir sagen, wie ich zum Bioethik-Seminar komme?“
„Natürlich.“ Er wies auf eine Tür am Ende des Ganges. „Gleich da hinten, sie haben schon angefangen.“ Er hob entschuldigend die Hände und gab sich genervt. „Ich muss weiter ... ich verpasse einen wichtigen Vortrag meines eigenen Kurses, der wichtig für meine Diplomarbeit ist, aber die Polizei interessiert so etwas nicht ... wenn die rufen, muss man springen!“
„Vielen Dank!“ Eliana schenkte ihm das freundlichste Lächeln, zu dem sie sich imstande fühlte, aber er verschwand schon hinter der Tür zum Saal, in dem die Polizei ihre Verhöre durchführte. Wenn die alle so distanziert hier waren, hatte sie keine Chance etwas herauszufinden.
Kurz darauf öffnete sie endlich die Tür zu ihrem eigenen Seminarraum. Der Kurs hatte bereits begonnen, und alle starrten sie an! Eliana fühlte sich belächelt und als Außenseiter in ihrem grauen überknielangen Rock und der weißen Bluse. „Guten Tag, entschuldigen Sie die Verspätung, ich bin neu“, stotterte sie überflüssigerweise auf Englisch zu dem Priester im schwarzen Anzug und huschte mit hochrotem Kopf in eine der Reihen, in denen es noch freie Plätze gab. Sie war sich sicher, verhaltenes Kichern im Rücken zu hören. An ihrem Platz machte sich Eliana so klein wie möglich und wartete darauf, dass der Pater endlich mit seinem Vortrag weiter machte. „Dann können wir also jetzt endlich beginnen?“, vernahm sie seine näselnde Stimme und nickte schnell. Ihr zu spät kommen hatte offensichtlich keinen guten ersten Eindruck hinterlassen. Toll gemacht – besser hätte mein Einstand nicht sein können! Ihre Rolle als weltfremdes Relikt spielte sie auf jeden Fall mehr als überzeugend. Immerhin - die Stühle waren bequem. Rot und weich wie Kinosessel. Eliana nahm sich vor, das gesamte Seminar über ihr Gehirn abzuschalten und nur so zu tun, als würde sie interessiert zuhören. Sie wusste, worum es in dem Seminar ging ... worin es in allen von der katholischen Kirche ausgerichteten Bioethik-Vorträgen ging: Anti-Abtreibung, Anti-Pille, Anti-Fortschritt! Vermehrt euch, verzichtet auf Kondome! Greift niemals in Gottes Schöpfungsplan ein ... das ist eine Sünde! Tatsächlich begann der Pater mit einer Power Point Präsentation über die ethischen Grundlagen ungeborenen Lebens ... zumindest dem, was die katholische Kirche darunter verstand. Die Studenten lauschten konzentriert der monotonen Stimme des Paters, während Eliana gegen aufkommende Müdigkeit ankämpfte und ständig ein Gähnen unterdrücken musste. Zu allem Überfluss wurde das Seminar auf Englisch gehalten, was es Eliana nicht leichter machte. Bilder von blutigen Klumpen abgetriebener Föten, Statistiken der letzten zehn Jahre und Zitate aus der Bibel wechselten sich als Projektion auf der weißen Leinwand des Hörsaals ab. Als Eliana nach einer Weile bemerkte, dass die Seminarteilnehmer allesamt mitschrieben, beschloss sie,
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