Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
»Ach, du bist General der Staatssicherheit. Dann pass mal gut auf die Russen auf«, verspottete sie ihn. Sie hatte keine Ahnung von seiner Arbeit, Politik war ihr egal. Für sie gab es nur die Musik. Anna war weltfremd und fröhlich. Sie war anders als alle anderen Frauen, die Grujewitsch kennen gelernt hatte. Er spürte, dass er sich in sie verliebte.
    »Was ist mit dir?«, fragte Anna, als sie ihn hereingelassen hatte.
    »Hatte viel zu tun«, erwiderte Grujewitsch und nahm sie in den Arm.
    Sie entwand sich seinen Händen: »Nein, sag, was los ist. Hat deine Frau was gemerkt?«
    Grujewitsch stutzte. Sie hatte ihn nie gefragt, ob er verheiratet sei.
    »Nein, das ist es nicht.«
    Sie stand in der Ecke ihres kleinen Zimmers und hielt die Arme vor der Brust verschränkt. »Was ist es dann?«
    »Ärger im Büro«, sagte Grujewitsch.
    »Waren die Russen nicht artig heute?«, fragte Anna.
    »Die Russen schon.« Grujewitsch lächelte.
    »Ich verstehe dich nicht«, sagte Anna.
    »Ich verstehe es selbst nicht«, sagte Grujewitsch. »Aber es ist ein Staatsgeheimnis.«
    »Ich habe dich nie gefragt, was du in deinem Beruf tust, das war ein Fehler«, sagte Anna. »Erzähl mir, was du tust.«
    Anna stellte eine Flasche grusinischen Rotwein und zwei Wassergläser auf den kleinen, mit einem Wachstuch bedeckten Tisch. Grujewitsch hatte die Flasche vor einigen Tagen in einem Sonderladen gekauft. Anna legte einen Korkenzieher daneben. Er öffnete die Flasche und goss beiden ein. Schweigend tranken sie einen Schluck.
    Dann sagte Grujewitsch: »Ich bin Leiter der Spionageabwehr. Ich und meine Genossen müssen verhindern, dass Feinde uns auskundschaften. Wir müssen erfahren, was unsere Feinde vorhaben. Je früher wir es wissen, umso weniger Schaden können sie anrichten.« »Wer sind deine Feinde?«, fragte Anna.
    »Unsere Feinde geben sich oft nicht zu erkennen. Alle fremden Staaten können Feinde sein. Sicher ist es aber bei keinem ...«
    »... außer den Deutschen«, unterbrach Anna.
    »Nicht einmal bei denen bin ich mir noch sicher. Wie einfach war die Welt, als wir genau wussten, wer uns an die Gurgel wollte und wer nicht. Heute sind Deutsche, Japaner und Amerikaner meistens Feinde, manchmal vielleicht aber auch nicht. Wenn die Engländer und Italiener sich einmal erholt haben werden, wird die Lage noch unübersichtlicher. Und die Chinesen sind die geheimnisvollsten Nachbarn überhaupt.«
    »Aber das ist doch bestimmt seit Kriegsende so. Warum bist du heute so abwesend?«
    Grujewitsch stutzte. Sie hatte Recht, seine Umarmungsversuche waren mechanisch gewesen.
    »Heute habe ich erfahren, dass unser gefährlichster Feind vielleicht gar keiner mehr ist«, sagte Grujewitsch. »Wenn ich dir mehr verrate, begehe ich ein Verbrechen, auf das die Todesstrafe steht.«
    »Aber es ist doch schön, wenn man einen Feind verliert. Freu dich!«, sagte Anna unbeeindruckt.
    »Vielleicht verlieren wir einen Feind, aber vielleicht will der Feind uns nur hereinlegen, um uns doch noch zu vernichten.«
    Er nahm sie in den Arm und küsste sie. Diesmal wollte er es, und sie ließ es zu.
    Als er neben ihr im Bett lag und einzuschlafen versuchte, lächelte Grujewitsch. Er schlief in dieser Nacht so fest wie lange nicht. Er wusste nicht, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hatte.
    Werdin betrachtete lange den braunen Umschlag, den Carpati auf die Stuhllehne gelegt hatte. Irgendetwas sagte ihm, dass er den Umschlag wegwerfen sollte. Carpati hatte sich bemüht, ein leises Lächeln zu verbergen, als er das Kuvert herausrückte, das verhieß nichts Gutes. Werdin hasste es, in anderer Leute Hand zu sein, Carpati hatte ihm dieses Gefühl gegeben. Was im Umschlag war, hatte etwas mit ihm zu tun. Der Lackaffe und der Holzkopf glaubten, er würde umfallen, wenn er den Inhalt kannte. Warum sonst waren sie nicht gleich wieder zurückgefahren nach San Diego? Warum sonst übernachteten sie in einem dreckigen Loch wie Tierra del Sol? Werdin grinste kurz, er sah Carpati im einzigen Hotel von Tierra del Sol, einer lauten Spelunke mit klebrigen Türklinken, fleckigen Betten und dem stinkenden Badezimmer im Gang. Als er damals den Hof besichtigt hatte, hatte Werdin in dem namenlosen Hotel übernachtet, und er würde lieber bei Sturm unter freiem Himmel schlafen, als es noch einmal zu tun.
    Der eitle Italiener war ein Fuchs. Myers gehörte zur alten Garde, diese Haudrauftypen hatte es in Deutschland auch gegeben, viel zu viele. Bei all ihren Heldentaten in der Vergangenheit,

Weitere Kostenlose Bücher