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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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wurde. Alkohol schwächt die Selbstkontrolle. Er sehnte sich oft nach der Entspannung, die Alkohol einem verschaffte. In Berlin hatte er manchmal zu viel getrunken, obwohl er die Gefahr kannte, der er sich damit aussetzte. Wenn er trank, vergaß er den Druck und die Angst. Und erhöhte die Gefahr. Ein falsches Wort, und er endete auf der Guillotine in Plötzensee oder vor einem Erschießungskommando der SS. Die Amerikaner boten ihm bei den Verhören Whiskey an. Einmal hatte er zwei Gläser getrunken, und danach plagte ihn die Angst, zu viel gesagt zu haben. Seitdem trank er nur noch Wasser.
    Das Bild in der Hand, spürte er, wie der Tequila das Zittern aus seinen Gliedmaßen vertrieb. Irma war tot. Doch sie war die Frau auf dem Foto. Und es war sein Sohn womöglich. War es eine Montage, hatte Schellenberg in die Trickkiste gegriffen? Werdin holte aus dem Wohnraum eine Lupe und setzte sich wieder an den Küchentisch. Er entdeckte keine falschen Übergänge, aber Schellenbergs Fälschungen waren besser als die Originale. Das hatte er von Heydrich gelernt, der sich rühmte, er habe mit präparierten Dokumenten Stalin vor dem Krieg dazu gebracht, Marschall Tuchatschewski und einen großen Teil des Offizierskorps der Roten Armee auszurotten. Heydrich hatte seine Rolle dabei übertrieben, wie so oft. Stalin brauchte keine Beweise für seinen Terror. Canaris und die feinen Herren der Abwehr fanden die Aktion unwürdig, aber sie beklagten sich nicht, als zu Beginn des Kriegs die durch Stalins Massenmord geschwächte Sowjetarmee ihr Debakel erlitt. Heydrich war längst ermordet, Schellenberg aber erwies sich als sein Meisterschüler, raffinierter noch als die blonde Bestie der SS.
    Werdin setzte sich in seinen Ford und raste in einer Staubwolke nach Tierra del Sol. Er bremste den Wagen mit rutschenden Reifen vor dem Eingang. An der Bar, die auch als Rezeption diente, rief er: »Wo sind die Typen aus Washington?« Der Barkeeper hob die rechte Hand, Daumen, Zeige-und Mittelfinger gestreckt. Werdin stürzte die Treppe hoch, riss die Tür von Zimmer 3 auf und brüllte: »Wo habt ihr das Foto her?«
    Myers lag auf dem Bett. Er fuhr aus dem Dämmerschlaf hoch und sagte nichts. Er klopfte an die Wand zum Nebenzimmer, kurz darauf kam Carpati.
    »Wo habt ihr das Foto her?«, fragte Werdin, er betonte jedes Wort.
    »Das wird Ihnen Crowford erzählen«, sagte Carpati. »Schon morgen.«
    »Sagen Sie mir, was Sie wissen!«, forderte Werdin.
    »Geht es um den Brief?«, fragte Carpati.
    »Um was denn sonst?«
    »Na ja«, sagte Carpati in quälender Ruhe, »der wurde in den Briefkasten der Schweizer Botschaft geworfen. Wir haben keine Botschaft in Berlin, die Schweizer vertreten unsere Interessen in Deutschland. Das behaupten sie jedenfalls.«
    »Wann wurde der Brief eingeworfen?«
    »Vor gut zwei Jahren«, antwortete Carpati.
    »Warum erfahre ich jetzt erst davon?«
    »Komische Frage! Sie wollten doch nichts mehr mit uns zu tun haben. Sie haben Crowford angeschnauzt, er soll Sie in Ruhe lassen. Wir haben uns daran gehalten, und jetzt beklagen Sie sich.«
    Carpati hatte Recht. Und doch empfand Werdin es als Schikane. Er schnaufte. »Aber jetzt haben Sie beschlossen, dass Ihnen meine Ruhe scheißegal ist. Jetzt kommen Sie hierher. Bestimmt nicht wegen des Briefs. Bestimmt nicht, um nett mit mir zu plaudern. Was wollen Sie?«
    Myers schaltete sich ein. Er grinste frech: »Das wissen wir nicht. Crowford und Dulles werden es Ihnen sagen.« Myers zog ein Ticket aus der Innentasche seines über einem Stuhl hängenden Jacketts und reichte es Werdin. »Morgen Mittag geht unser Flieger.«
    Sie hatten gewusst, ich würde mitkommen, dachte Werdin und spürte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg.
II.
    SS -Gruppenführer Werner Krause gab sich Mühe, gefasst k3 k3 zu wirken. Wenn das Unternehmen schief ging, war es für eine Weile vorbei mit der Beförderung. Oder es kam noch schlimmer. Andere wären zufrieden mit seinem Rang, viele durften davon nur träumen. Aber je höher man kommt, umso höher will man hinaus. Man kann sich gegen diesen Wunsch nicht wehren, dachte Krause. Es ist ein Naturgesetz, der Mensch strebt nach Höherem.
    Krause saß in seinem Büro im zweiten Stock des Hauses des Sicherheitsdienstes, Wilhelmstraße 102, Berlin. Er lehnte sich mit seinem Stuhl nach hinten, dann wieder nach vorn. Er zündete sich eine Zigarette am Stummel der letzten an. Er griff zum Hörer eines der drei Telefone auf seinem dunkel gebeizten Eichenschreibtisch.

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