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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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kaufen, die es in Moskau nicht oder nur selten gab.
    Am Morgen nach einer der ersten Nächte mit Anna fand Grujewitsch auf seinem Schreibtisch eine Nachricht. Ein Funker des Ministeriums hatte sie aufgefangen, als er an der Frequenzscheibe seines Funkgeräts herumgespielt hatte, wie er ängstlich gestand. Sie war auf einer Frequenz gesendet worden, die die größte sowjetische Spionageorganisation während des Kriegs benutzt hatte; die Gestapo nannte sie Rote Kapelle, nachdem sie den Grand Chef Leopold Trepper und seine Genossen 1942 verhaftet hatte. Die nach einem alten Kode verschlüsselte Nachricht trug keine Unterschrift. Gerichtet war sie an den Direktor, den es seit einem Jahrzehnt nicht mehr gab. Die Dechiffrierabteilung des MGB hatte Tage gebraucht, um das Buch zu finden, nach dem der Text verschlüsselt war. Es war Hitlers Mein Kampf Der letzte Satz der Nachricht bestand aus sechs Wörtern: WAS HALTEN SIE VON GESPRÄCHEN? Grujewitsch griff zum Hörer eines der schwarzen Telefone auf seinem Schreibtisch und bat seinen Stellvertreter zu sich.
    »Wie findest du das, Nikolai Nikolajewitsch? Das ist doch verrückt!«, sagte Grujewitsch.
    Oberst Iwanow las die entschlüsselte Abschrift des Funkspruchs.
    »Keine Ahnung, Boris Michailowitsch«, sagte er.
    »Lass uns ein bisschen an die frische Luft gehen«, sagte Grujewitsch.
    Draußen ergänzte er: »Den Wänden traue ich immer noch nicht.«
    Iwanow nickte.
    »Die Trepper-Organisation ist längst zerschlagen. Wer ist das, der da an den Direktor funkt und den alten Kode benutzt? Weißt du was, Nikolai Nikolajewitsch? Du warst doch bei Smersch?«
    Iwanow lächelte. Tod den Spionen, das war Smersch, eine wilde Zeit. Er war 1943 zur militärischen Spionageabwehr gestoßen, mitten im Krieg. »Ob uns jemand hereinlegen will? Ein Funkspiel des SD? So blöd können die doch nicht sein. Die haben doch die Trepper-Organisation zerschlagen vor gut zehn Jahren und groß herumgetönt. Trepper sitzt angeblich in Plötzensee. Wahrscheinlich hat er inzwischen alles verraten. Na ja, der Grand Chef ist auch nur ein kleiner Mensch.«
    Sie kamen an verkrüppelten Kriegsveteranen vorbei, die fast unverhohlen bettelten. Betteln war verboten in der Sowjetunion, Armut galt als überwunden. Aber bei den Helden des Kriegs drückte die Miliz mehr als nur ein Auge zu. Grujewitsch wollte sich nicht gewöhnen an diesen Anblick.
    »Die vernünftigste Erklärung ist, dass der SD dahinter steckt, vielleicht Himmler persönlich. Möglicherweise hatte Schellenberg die Idee, die Sache um die Ecke anzugehen. Das wäre so ganz seine Art.«
    »Du hasst ihn«, sagte Iwanow.
    Der Schnee hatte sich in Regen verwandelt. Sie platschten mit ihren Stiefeln durch matschige Pfützen.
    »Nein, aber er ist schlau und gefährlich. Und romantisch. Das macht ihn noch gefährlicher. Und unberechenbar.« Grujewitsch gestand sich ein, er war ein wenig eifersüchtig auf den Ruhm seines Gegenspielers. »Ich glaube, die Deutschen wollen mit uns reden. Und sie fühlen vor auf diese komische Art. Wenn was dran ist an der Sache, dann ist das vielleicht die große Chance für die Sowjetunion - und für den Genossen Berija«, sagte Grujewitsch. »Stell dir vor, die würden wieder Handel mit uns treiben, uns Rohstoffe abkaufen, Industriewaren liefern. Dann könnten wir unsere Wirtschaft aufbauen und die Armut beseitigen.«
    »Du warst schon immer ein Ketzer und naiv, das gehört ja auch zusammen«, lachte Iwanow. Er wurde gleich wieder ernst. »Und wenn das Ganze eine Fälschung ist, des SD oder von wem auch immer? Vielleicht wollen die Amerikaner uns hereinlegen? Der Funkspruch behauptet, Deutschland wolle politisch und wirtschaftlich wieder mit der Sowjetunion zusammenarbeiten, sei sogar bereit, sich für den Bruch des Nichtangriffspakts 1941 zu entschuldigen. Jetzt stell dir vor, Boris Michailowitsch, das wäre ein CIA-Trick. Dann streckt der Genosse Berija seine Hand aus, und die in Berlin spucken drauf. Und dann können wir im Völkischen Beobachter lesen, was für ein Trottel der Genosse Berija ist. Die Deutschen lachen sich tot, die Amerikaner lachen sich tot. Was für eine Blamage.« Iwanow blieb abrupt stehen. Er wischte sich mit dem Ärmel über die nasse Stirn. »Boris Michailowitsch, und wenn es Leute bei uns sind, die dem Genossen Berija eins auswischen wollen? Anhänger von Väterchen Stalin, denen es nicht passt, was der Genosse Berija zuletzt über Deutschland sagte?«
    »Ja, möglich. Aber wenn es doch wahr ist?

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