Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
in den Osten geschickt hatte und dass Himmler in der SS nach der Devise verfuhr, jeder solle nur das erfahren, was er wissen müsse, um seine Aufgaben zu erfüllen. Die Verschleppung von Berliner Juden hatte Werdin mit eigenen Augen gesehen, von den Deportationen in Frankreich, Belgien und Holland wusste er durch die Berichte seiner V-Männer. Aber was mit den Juden geschah, wusste er nicht. Er war froh, es nicht zu wissen. Manchmal überkamen ihn böse Ahnungen. Zu oft hatte Hitler von Ausrottung gesprochen. Aber jetzt war Hitler tot. Er drückte nicht mehr. Jetzt rollten die Räder für den Sieg oder wenigstens um den Untergang zu vermeiden, und nicht mehr für Verschleppungsaktionen.
    Werdin fühlte sich unbehaglich. Warum erzählte Schellenberg ihm das alles?
    »Ich habe mit dem Reichsführer über Sie gesprochen, Werdin.«
    Werdin schaute Schellenberg erstaunt an.
    »Ich habe eine neue Aufgabe für Sie. Nüchtern betrachtet, dürfte es uns kaum gelingen, unser Agentennetz im Westen aufrechtzuerhalten. Wenn wir Frankreich und Belgien räumen, wird kein Schwein mehr für uns arbeiten. Und die es getan haben, werden untertauchen und ihre Nase in den nächsten Jahren nicht an die Oberfläche stecken.« Schellenberg grinste. »Bevor Ihnen langweilig wird, gebe ich Ihnen was Vernünftiges zu tun. Der Reichsführer wird sich künftig um das Uranbombenprojekt kümmern. Er hat seinen Kollegen in der neuen Regierung zugesagt, alle Möglichkeiten der SS einzusetzen, damit wir die Bombe vor Kriegsende und vor den Amerikanern haben. Sie wissen, wir verfügen über eigene Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen. Alle Wissenschaftler, die an der Uranbombe arbeiten, werden in Hechingen bei Stuttgart zusammengezogen. Dort bauen wir ihnen Bunker und nutzen Stollen, obwohl da noch nie eine Bombe gefallen ist. Da sind die Eierköpfe sicher vor Luftangriffen. Wir werden hunderttausende von Arbeitskräften aus den Lagern für diese Aufgabe heranziehen und sie sogar richtig gut verpflegen.«
    »Ich habe keine Ahnung von Physik«, erwiderte Werdin.
    »Ich auch nicht«, sagte Schellenberg. »Aber wir müssen jetzt alle Physiker werden. Lassen Sie sich von den Wissenschaftlern dieses so genannten Uranvereins berichten, fragen Sie sie aus, ich muss jederzeit wissen, wie der Stand der Dinge ist. Wenden Sie sich an Kurt Diebner, er ist zuverlässig. Andere, wie etwa Heisenberg, hatten wir schon in der Prinz-Albrecht-Straße zu Besuch, im Keller.« Schellenberg grinste.
    »Müller hat ihn für einen schlimmen Finger gehalten, und jetzt sitzt Müller im Kreml, und Heisenberg arbeitet für uns. Er will nicht, dass wir den Krieg verlieren, auch wenn er gegen den Krieg war. Diebner hat die Sache bisher geleitet, aber die Herren mochten sich nicht und wetteiferten gegeneinander, die einen in Berlin-Dahlem am KaiserWilhelm-Institut, Diebner in Gatow und Heisenberg in Leipzig, wenn er nicht gerade in Berlin bei Weizsäcker war. Das ist der Sohn unseres neuen Außenministers. Der Uranverein ist unser wichtigstes Projekt. Ich muss wissen, wie sich die Physiker verhalten, ob sie mitarbeiten oder bremsen.«
    Werdin runzelte die Stirn. »Das ist nicht unbedingt meine Spezialität.«
    »Ich weiß«, sagte Schellenberg und lachte kurz, »Sie spitzeln nicht gerne. Das verlange ich auch nicht von Ihnen. Ich mache mir nur Sorgen, dass wir nicht rechtzeitig fertig werden. Wenn Ihnen etwas einfällt, wie die Eierköpfe angefeuert werden können, dann tun Sie es. Sie werden in zehn Tagen in Hechingen erwartet. Bis dahin räumen Sie Ihren Schreibtisch auf und übergeben Ihre Aufgabe dem Obersturmführer Gottlieb. Kann übrigens gut sein, dass wir Ihnen Gottlieb nach Hechingen nachschicken.«
    Auf dem Heimweg am Abend fragte sich Werdin das erste Mal, warum er nicht abhaute. Warum nicht überlaufen zu den Amis? Er würde es nicht tun. Er dachte an Irma und schalt sich gleich einen Idioten, Lebensentscheidungen abhängig zu machen von einem Trugbild. Die Vereinigten Staaten waren für ihn immer noch das Sinnbild des Kapitalismus, reich und unmenschlich. Seine Zweifel am Sowjetmodell rechtfertigten es nicht, dass er seine Ideale über Bord warf und sich den Amerikanern oder Briten andiente. Er hatte für Stalin spioniert gegen die Nazis, weil er glaubte, dies sei für Deutschland das Beste. Nun fühlte er sich heimatlos. Aber vielleicht hatte er auch nur das Glück gefunden, auf eigenen Füßen zu stehen.
    In der Brieftasche hatte er Mellenscheidts Zettel

Weitere Kostenlose Bücher