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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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gesagt?, fragte sich Werdin. Irgendwann kommt sie heraus, dann stehen die Herren ohne Hosen da. Dann müssen sie weiterlügen oder die Wahrheit sagen. Je länger sie Lügen, desto teurer wird die Wahrheit. Was wird mit Stauffenberg, wenn Lügen nicht mehr hilft? Aber vielleicht wollen die Deutschen es auch gar nicht glauben, dass der geliebte Führer einem Attentat zum Opfer fiel.
    Werdin lief gemächlich zur SS-Kaserne in der Finckensteinallee. Das Tor war geschlossen, nichts war zu hören. Auch auf der Straße entdeckte er keine Soldaten. In der Innenstadt war ebenso wenig zu sehen gewesen. Der Machtkampf war zu Ende, die Nationale Versöhnung besiegelt, der Kampf ging weiter. Bis alles in Scherben fällt.
    Dämmerung. Rote Sonnenstrahlen wurden gebrochen vom Umriss des Krankenhauses, das nur wenige hundert Meter von der Kaserne der Leibstandarte entfernt lag. Das weiche Licht retuschierte die Zerstörungen an Dach und Fassaden. Es blendete. Deshalb schlug Werdin einen größeren Bogen als beim letzten Mal, als er sich der Elmshorner Straße näherte. Er wollte sich mit dem Licht im Rücken an das Haus heranpirschen, in dem Fritz verhaftet worden war. Er ging schnell, um den günstigen Augenblick nicht zu verpassen. Mit einem Griff an die Pistolentasche vergewisserte er sich, dass er die Walther dabeihatte. Er öffnete die Lasche und fühlte nach dem Hahn. Es genügte, ihn leicht zurückzuziehen, um sofort schießen zu können. Er schloss die Pistolentasche und fühlte von außen durch den Uniformstoff die Wölbung des Stiletts.
    In der Nähe des Hauses nutzte er Büsche und Gartenmauern zur Deckung. Vor jedem Schritt suchte er sorgfältig ab, was vor ihm lag.
    Als er die Rückseite des Hauses erreicht hatte, kauerte er sich hinter einen Strauch und beobachtete durch die Zweige die Umgebung. Er verharrte eine Viertelstunde in dieser Position, sein Blick suchte jeden Winkel des Gartens ab. Er entdeckte nur eine Frau, die Wäsche aufhing. Irgendwo schrie ein Kind, ein Radio plärrte, Schlagermusik. Werdins Augen streiften über die beiden Türen an der Hausrückwand. Treppen führten zu ihnen hinunter in den Keller. Werdin konnte nur einen Teil einsehen. Die rechte Tür öffnete sich langsam, nur halb. Es war niemand zu erkennen. Derjenige, der sie geöffnet hatte, musste geduckt sein. Werdin öffnete die Pistolentasche. Er musste Wehling überraschen, ihn woanders hinbringen und töten. Es war miserabel geplant. »Aus dir wird nie ein guter Mörder.«
    Werdin flüsterte mit sich selbst, das tat er oft, wenn er angespannt war. Er starrte auf die Treppe, keine Bewegung. Warum stieg Wehling die Stufen nicht hoch? Oder hatte er es sich anders überlegt und ging wieder ins Haus zurück? Hatte er Fritz’ Wohnung schon durchsucht? Hatte er erkannt, dass Fritz schon einige Tage fort war? Vielleicht an schmutzigem Geschirr, das Schimmel ansetzte?
    Ein lautes Klatschen. Dann: »Miez! Miez! Miez!« Ein schwarzhaariger Junge in kurzer Lederhose rannte in den Garten. »Miez! Miez! Miez!«, rief er noch einmal. Gebannt beobachtete Werdin, wie der Kleine im Garten seine Katze suchte.
    Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn. Er konnte sich später nur an diesen furchtbaren Schmerz erinnern und an den Moment der Überraschung, bevor er ohnmächtig wurde.
    Als er aufwachte, lag er auf dem Boden eines dunklen Raums. Es war kalt und feucht, es roch nach faulenden Kartoffeln. Werdin fror, er spürte die Nässe auf der Haut, sein Kopf schmerzte. Er versuchte, seine Hände zu bewegen, bis er merkte, sie waren stramm hinter dem Rücken gefesselt. Das Seil schnitt in die Haut ein. Auch seine Füße waren gefesselt. Er wälzte sich hin und her, es war sinnlos. Er drehte seinen Körper und versuchte mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Plötzlich leuchtete ein Streichholz auf. Werdin kniff die Augen zusammen, das Licht blendete. Das Streichholz bewegte sich und entzündete eine rote Glut. Werdin erkannte ein Gesicht, Wehling. Dann wurde das Streichholz auf den Boden geworfen, es erlosch. Die Glut brannte hell, wurde wieder dunkel. Sie sank ein Stück. Es roch nach Tabak. Er hörte die Schritte, ein Streichholz flammte auf, wurde ihm über den Kopf gehalten, schmerzte in den Augen.
    »Ach, das ist ja schön. Der Genosse Michael ist aufgewacht«, sagte Wehling in seinem breiten Sächsisch. »Dann können wir uns ja ein bisschen unterhalten. Ich mach mal Licht.«
    Wieder ein Streichholz, eine Kerze begann zu brennen. »Ich habe an alles

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