Der 21. Juli
meine Herren«, sagte Kaltenbrunner.
Als Krause am nächsten Morgen zum Dienst kam, war Schellenberg kommissarischer Leiter des Reichssicherheitshauptamts. Die steilste Karriere des Dritten Reichs. Den verhassten Außenminister Ribbentrop dagegen hatte es erwischt, ein Opfer der Nationalen Versöhnung . Genauso Theodor Eicke, den Chef der Totenkopfverbände, den Mörder in den Konzentrationslagern. Die neuen Herren sperrten ein paar Nazis hinter Gitter, um die anderen Nazis zu schonen. Die Verschwörer opferten heilige Grundsätze, Nazipartei und SS trennten sich von ein paar Figuren, die nicht in die anbrechende neue Zeit passten. Alle wollten die bedingungslose Kapitulation verhindern. Frieden? Ja, im Zweifelsfall auch mit den Russen. Abtritt der Eroberungen? Ja, nicht aber Österreich, das Sudetenland und möglichst auch nicht Westpolen. Reparationen? Keine Neuauflage des Versailler Vertrags von 1919. Krause zweifelte, ob die Alliierten sich auf deutsche Forderungen einließen. Wenn sie es nicht taten, starben Millionen von Menschen, auch auf der anderen Seite.
Der neue Sicherheitsdienst musste vorsichtig arbeiten, um nicht in die Schusslinie zu geraten. Schellenberg, der gerissene Hund, modelte lautlos seine Abteilungen um und begann jeden und alles zu bespitzeln. Krause staunte immer wieder über die Zielstrebigkeit seines neuen Chefs. Als hätte der alles schon seit Jahren geplant. Manchmal flog Schellenberg nach Ostpreußen, um mit Himmler zu beratschlagen. Der Reichsführer ließ sich nicht in der Hauptstadt sehen, sondern verschanzte sich in seinem Sonderzug, bewacht von der Leibstandarte-SS Adolf Hitler. Als die Zeitungen den Heldentod des Führers meldeten, hatte Schellenberg alle Geheimdienste des Reichs sicher im Griff. Krause hatte er zu Müllers Nachfolger bestimmt. Dessen Hauptamt nannte sich nicht mehr Gestapo, sondern Abwehr, ihm waren die traurigen Reste des ehemaligen Amts Abwehr zugeschlagen worden. Dessen früherer Chef, der depressive Admiral Wilhelm Canaris, ließ sich endgültig in den Ruhestand versetzen und führte in den Pausen zwischen den Bombenangriffen seine Hunde spazieren.
Krause befahl, ihm Fritz vorzuführen. Sie mussten ihn schleppen. Zwei Tage und zwei Nächte hatten sie ihn gefoltert, das große Programm.
»Hast du es dir überlegt?«, fragte er seinen Gefangenen.
Fritz sah ihn aus stumpfen Augen an.
»Wenn du hoffst, wir lassen dich verrecken, dann irrst du dich. Jetzt noch nicht. Ich mach dir ein Angebot: Du nennst uns den Verräter, und ich lass dich laufen. Wenn nicht, werden die beiden Herren an deiner Seite dir Tag und Nacht ihre Aufmerksamkeit schenken. Die haben wirklich originelle Methoden für Leute wie dich. Sie lassen sich immer wieder was Neues einfallen. Man kommt nicht heraus aus dem Staunen.«
»Werdin«, sagte Fritz.
Krause staunte ihn ungläubig an. »Werdin? Der vom SD, Westeuropaabteilung? «
Fritz nickte. Er weinte.
»Der Kunstschütze«, murmelte Krause in sich hinein. »Lauter Volltreffer.«
Er nickte den SS-Männern zu, die Fritz unter den Armen hielten. Sie brachten ihn hinaus. Krause griff zum Telefon: »Verbinden Sie mich mit Schellenberg.«
»Werdin?«, fragte Schellenberg. »Sind Sie sicher?«
»Fritz behauptet es.«
»Sie haben ihn foltern lassen.«
»Wir mussten«, sagte Krause.
»Ab sofort sind Folter und jede sonstige Quälerei untersagt. Nur noch in Ausnahmesituationen. Haben Sie das verstanden?«
Krause fühlte, wie Ratlosigkeit über ihn kam. Demnächst würden sie ihren Gefangenen ein Menü servieren.
»Auch ohne Prügel, Nägel ausreißen und ähnliche Ekligkeiten kriegt man aus Leuten was heraus.«
Krause antwortete nicht.
»Werdin also«, sagte Schellenberg.
***
Es war eine kurze Nacht gewesen. Werdin hatte die zerstörten Scheiben an der Straßenseite durch Pappe ersetzt. Hoffentlich goss und stürmte es in nächster Zeit nicht zu stark. Dann würde die Wohnung nass werden. Neue Glasscheiben zu kriegen war schwer. Es schepperte ja nicht nur bei ihm. Die Glasereien litten genauso unter Arbeitskräftemangel wie alle anderen Branchen. Die deutschen Glaser kämpften gegen die russischen, amerikanischen und englischen Glaser, obwohl zu Hause das Geschäft ihres Lebens wartete.
Als Werdin im Dienst erschien, wartete schon eine Nachricht auf ihn. Schellenberg wünsche ihn zu sprechen, sofort. Was wollte er? Wusste er etwas? Fritz begleitete Werdin Tag und Nacht im Kopf. Er hoffte, der Umsturz, der nur ein halber war,
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