Der 21. Juli
würde Fritz wenn schon nicht befreien, so doch wenigstens vor den schlimmsten Qualen schützen. Und damit auch ihn.
»Werdin, kommen Sie herein!«, rief Schellenberg freundlich und winkte ihn zu sich. »Gut, dass Sie da sind. Wir haben etwas Wichtiges zu besprechen.«
Was wollte er? Warum so freundlich?
»Kennen Sie die Lage an den Fronten?«, fragte Schellenberg. »Wie groß sind unsere Chancen, mal ganz ehrlich?«
»Wir verlieren«, sagte Werdin. »Vielleicht dauert es nun länger als unter dem Führer. Aber das Ergebnis steht fest. Die anderen haben mehr Soldaten und mehr Waffen. Und selbst die Amis werden lernen, wie man kämpft. Und wenn sie es nicht lernen, schicken sie ein paar Flugzeuge mehr. Wir dagegen können unsere Verluste nicht mehr ersetzen, die an Menschen noch weniger als die an Waffen. Uns geht der Sprit aus, seit Amis und Engländer Raffinerien und Hydrierwerke bombardieren. Die Ölquellen in Rumänien sind verloren. Und die V-1 kann Häuser zerstören, aber keinen Krieg gewinnen. Die Engländer lassen sich durch Bombardements genauso wenig in die Knie zwingen wie wir.«
»Sie wären also dafür, Schluss zu machen.«
»Ja«, sagte Werdin. Vor wenigen Tagen noch hätte ihn diese Antwort die Uniform und den Kopf gekostet.
»Das ist vernünftig«, sagte Schellenberg. »Wenn man zu Grunde legt, was Sie wissen.«
Werdin schaute ihn erstaunt an. Machten die neuen Herren da weiter, wo der alte aufgehört hatte, bei Wundermärchen und Wunderwaffen?
»Wir haben ein Waffenprojekt, das uns auf einen Schlag den Sieg bringen kann. Es ist aber noch nicht fertig. Bis es fertig ist, müssen wir durchhalten.«
»Den Sieg?«, fragte Werdin.
»Den Sieg. Oder sagen wir besser, den Frieden. Wir vermeiden die Niederlage. Wir haben da ein Material, das ist besser als jeder Sprengstoff der Welt. Wir können die Materie selbst platzen lassen, die Atomkerne. Wenn man es schafft, eine gebremste Kettenreaktion in Uran auszulösen, erzeugt man mehr Sprengkraft als alle Bomben, die die deutsche Luftwaffe in diesem Krieg abgeworfen hat. Stellen Sie sich vor, Sie schicken zu einer bestimmten Stunde hunderttausend schwere Bomber los, die eine Stadt angreifen sollen. Von der Stadt bliebe nichts übrig. Die Wirkung der vielen einzelnen Bomben würde sich vermengen und vervielfachen. Es entstünde ein Inferno, gegenüber dem der Feuersturm in Hamburg ein leichtes Flackern wäre.«
Werdin hatte vom Angriff auf Hamburg gelesen und gehört. Es war eine Feuerhölle gewesen mit dreißigtausend Toten.
»Zu der Spreng-und Brandwirkung kommt noch etwas dazu: die Strahlung. Wir wissen nicht genau, wie sie wirkt, aber wir gehen davon aus, dass die Strahlung Jahre oder Jahrzehnte anhält und tödlich ist, bei höherer Dosis früher, bei geringerer später.«
Wer nicht gleich umkommt, geht elend zu Grunde, quält sich buchstäblich zu Tode. Wo die Bombe hinfällt, löscht sie alles Leben aus, und das für Jahre oder Jahrzehnte. Es gibt keine militärischen oder zivilen Ziele mehr, da ist nur noch Vernichtung. »Finden Sie nicht, dass wir eine solche Waffe nicht einsetzen dürfen? Das ist kein Krieg mehr.«
Komisches Argument, sagte er sich. Was ist es sonst? Die Bombe steigert die Vernichtungskraft und die Zahl der Opfer. Das ist der Sinn des Kriegs. Und doch war es anders.
»Sie haben Recht. Wir wollen diese Waffe nicht einsetzen. Aber wenn die anderen uns zwingen ...«
»Warum zeigen wir den anderen nicht, was wir haben? Es wird sie zur Besinnung bringen.«
»Vielleicht. Nur, die Amerikaner arbeiten an der gleichen Waffe. Seit der Führer tot ist, melden sich bei uns, über Botschaften in Südamerika, hin und wieder Emigranten. Viele deutsche Wissenschaftler arbeiten mit an der amerikanischen Bombe. Sie hatten Angst, dass der Führer diese Waffe zuerst in die Hand bekommt. Wenn die gewusst hätten, dass der Führer die Sache auf die lange Bank geschoben hat, weil er glaubte, den Krieg sowieso zu gewinnen. Nun gibt es ihn nicht mehr, und viele Emigranten kriegen ein schlechtes Gewissen. Ich habe von deutschen Physikern in Amerika gehört, die sich weigern, weiter an der Bombe zu arbeiten. Einstein hatte Roosevelt aufgefordert, die Uranbombe zu bauen, um dem Führer zuvorzukommen. Nun verlangt er, die Arbeit an dem Unternehmen einzustellen, weil der Führer tot ist. Viele Wissenschaftler, nicht nur deutsche, hören auf ihn. Einige fordern, dass sofort Frieden gemacht wird. Andere beginnen zu zweifeln. Sie sind die
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