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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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hatte mit einem Monster gerechnet, aus dessen riesigem Maul der kalte Atem hervorbrach, den er vor einem Augenblick
     noch gespürt hatte, doch da war kein Monster. Genau genommen war da gar nichts. Er drehte sich um und wollte erneut den Aufzug
     rufen, und genau in dem Moment zerbrach die Wirklichkeit. Eine Sekunde lang glaubte er in seinem Zimmer im Bett zu liegen
     und zu träumen, was er am nächsten Tag unternehmen würde, um Beweise zu sammeln. Die Aufzugtür konnte sich nicht mehr öffnen.
     Es gab keinen Aufzug mehr, nur eine weiße leere Wand.

24
    Die Straße war verlassen. Die Wurzeln der Bäume hatten die Straße und den Gehsteig aufgerissen, als beanspruchte die Natur ihr Recht auf
     den Ort zurück. Isabel fuhr durch das rostige Gittertor. Der Parkplatz war leer bis auf einen alten Pkw ohne Reifen. Sie ging
     zum Aufzug. Die verbeulte Tür stand halb offen. Jemand musste versucht haben, sie mit einem Brecheisen aufzustemmen. Isabel
     versuchte ihre Magnetkarte einzuführen, doch der Schlitz war von mehreren Kaugummis verstopft.
    Sie verließ die Tiefgarage über die Auffahrt, wobei sie sich den Weg durchs Dickicht bahnen musste. Vor dem Büroturm lag eine
     Unzahl kaputter Möbel herum: Bürosessel, Schreibtische, Computermonitore, alles in Einzelteile zerlegt und meterweit verstreut   … Isabel blickte auf und sah, dass ein Großteil der Fenster unterschiedlich große Löcher aufwies. Die umstehenden Gebäude
     waren ähnlich heruntergekommen; eine graue Staubwolke bedeckte den Himmel. Keine Menschenseele war zu sehen. Isabel ging die
     Treppe zum Haupteingang hoch. Auch an der Drehtür fehlten sämtliche Scheiben. Sie stemmte die Hand gegen den mit Splittern
     besetzten Rahmen und versuchte vorsichtig zu schieben, um sich nicht zu schneiden, aber die Tür klemmte. Geschickt stieg sie
     durch eines der Fensterlöcher und betrat das Foyer.
    Tief in ihr flüsterte eine Stimme, sie solle fortlaufen, weit weg, doch Isabel hörte nicht auf sie. Es war ein ganz normaler
     Arbeitstag. Die Wachleute waren verschwunden. Durch die offene Tür des Wachhäuschens sah man am Boden verstreut mehrere Besucherbücher
     liegen. Isabel stellte fest, dass auch die Schlitze an den Drehkreuzen nicht mehr funktionierten, und kroch darunterdurch. Sie beschloss, nicht den Aufzug zu nehmen, sondern die Feuertreppe hochzugehen. Auch dort standen zu Isabels Verwunderung
     keine Wachleute. Stufe für Stufe ging sie die Treppe hoch. Es war kein Laut zu hören, keine Drucker oder Kopierer, keine Gesprächsfetzen
     von Kollegen, die heimlich auf den Gängen rauchten. Nichts, bis auf das gelegentliche Surren einer Fliege. Langsam arbeitete
     sie sich weiter nach oben. Ein Gestank lag in der Luft, ein fernes, süßliches Aroma.
    Nach einer Weile musste Isabel entmutigt feststellen, dass der Gang, der in das nächste Stockwerk führte, versperrt war. Ein
     paar Dutzend Möbelstücke und Bürogegenstände standen bis zur Decke gestapelt, als hätte jemand eine Barrikade errichtet, um
     jeglichen Aufstieg unmöglich zu machen. Oder jeglichen Abstieg. Isabel versuchte eines der Möbel beiseitezuschieben, sie schaffte
     es jedoch nicht. Außerdem würde eine falsche Bewegung genügen, damit alles auf sie herabstürzte und sie unter sich begraben
     würde. Sie ging die Feuertreppe bis zum darunterliegenden Stockwerk hinunter und betrat die Etage. Eine morgendliche Brise
     wehte durch die kaputten Scheiben herein und wirbelte allerlei Papiere durch den Raum. Der Boden war von Tausenden ausgedruckten
     Seiten übersät, die zwischen umgestürzten Aktenschränken herumlagen.
    Isabel ging weiter und sah, dass auch in den Büros niemand war. Sie folgte einem Glockenton, bog um eine Ecke und stand vor
     den Aufzügen. Der mittlere Lift hatte seine Türen geöffnet. Als sie näher trat, stieg ihr wieder dieser unangenehm süßliche
     Geruch in die Nase. Sie hielt sich den Ärmel vors Gesicht und betrat den Aufzug, ihre Magnetkarte ließ sie in der Tasche.
     Der Aufzug kannte sein Ziel. Nach all den Jahren musste er einfach wissen, wohin sie wollte. Die Fahrt dauerte etwa eine Minute.
     Als der Aufzug hielt, hörte Isabel auf der anderen Seite der Tür ein merkwürdiges Geräusch, ein tiefes dunkles Brummen. Die
     Türen gingen auf, und Isabels Gehirn versuchte, die Szene zu verarbeiten, die sie vor sich hatte. Ein widerlicher Gestank
     schlug ihr entgegen, doch sie konnte sich nicht auch noch die Nase zuhalten.Sie hatte die Hände schon auf die

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