Der 26. Stock
oder er ist noch sauer wegen gestern und schläft
bei irgendeinem Bekannten.«
»Das kann nicht sein«, erwiderte Isabel. »Teo kennt hier so gut wie niemanden, und schon gar nicht so gut, dass er woanders
übernachten würde.«
»Señorita Alvarado, meine Frau versucht weiterhin, alle Mitarbeiter zu erreichen, und ich fahre jetzt gleich zum Turm, mal
sehen, ob ich Teo irgendwo finde. Rufen Sie bei Ihren Bekannten an und verständigen Sie die Polizei, ja? Aber machen Sie sich
keine Sorgen, es wird alles gut werden.«
Wütend legte Isabel auf. »Es wird alles gut werden.« O’Reilly hatte keine Ahnung, was los war. Wahrscheinlich ging er davon
aus, dass Teo irgendwo verschreckt am Bordstein saß und darauf wartete, dass ihn jemand fand. Teo hätte den Weg nach Hause
schon gefunden. Isabel ging die Nummern im Adressbuch ihres Handys durch. Sie wusste nicht recht, wen sie anrufen sollte.
Zuerst versuchte sie es in Teos Schule, aber dort sprang wie erwartet nur der Anrufbeantworter an und teilte ihr mit, dass
noch geschlossen war. Von keinem einzigen seiner Lehrer hatte sie eine Telefonnummer. Dann stieß sie auf Carlos’ Nummer. Wenn
sie nur ihn hätte anrufen können. Alles schien schiefzulaufen. Sie wählte Hugos Nummer. Nicht erreichbar. Auch Zac nahm den
Anruf nicht entgegen. Isabel machte einen letzten, fast schon verzweifelten Versuch, aber auch Veras Telefon war ausgeschaltet,
wie schon seit Tagen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Am liebsten hätte sie den Mantel angezogen undwäre hinaus auf die Straße gelaufen, wäre gerannt und gerannt, bis sie ihren Bruder gefunden hätte. Wie hatte sie nur einschlafen
können, wo doch Teo noch nicht wieder nach Hause gekommen war? Sie nahm den Mantel und kramte in den Taschen. Dann ging sie
zurück ins Wohnzimmer, die Visitenkarte in der Hand.
A. Márquez. Inspektor. Bezirk Innenstadt.
Unter der zweiten Zeile standen die vorausschauenden Worte: »Ich warte auf Ihren Anruf.« Sie dachte an Teo und gab die erste
Ziffer ein. Das war ihre einzige Chance. Ihr fiel niemand anderes mehr ein, den sie hätte um Hilfe bitten können. Márquez
musste ihm helfen, so wie er Carlos geholfen hatte. Jemand hatte versucht, Carlos umzubringen, aber er hatte es verhindert,
oder wenigstens behauptete er das. Isabel wählte die Nummer zu Ende. Nach dem siebten Klingeln wollte Isabel auflegen, da
hob doch noch jemand ab.
»Ja?«
Isabel war erstaunt, eine verschlafene Frauenstimme zu hören. Bestimmt hatte sie sich verwählt.
»Tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe, ich wollte eigentlich Inspektor Márquez sprechen, aber da habe ich mich wohl …«
»Moment, er kommt gleich.« Die Frau rief mehrmals nach einem »Chef«. Dann hörte Isabel die unglaublich raue Stimme des Polizisten,
sie hätte ihn fast nicht erkannt. »Hallo?«
»Inspektor Márquez, hier ist Isabel Alvarado, entschuldigen Sie die Störung. Tut mir leid, wenn ich Ihre Frau geweckt habe.«
Vom anderen Ende der Leitung kam heiseres Gelächter.
»Keine Sorge. Meine Frau ist mit ihrem Anwalt nach Mallorca geflogen, und ich hab so ein Gefühl, dass ich sie so bald nicht
wiedersehe. Sie können mir glauben, dass mich das keineswegs unglücklich macht. Wenn sie nicht das Sorgerecht für die Kleine … … Aber lassen wir das. Das ist ja schon eine spezielle Zeit, um auszupacken. Ich dachte, Sie würden sich erst morgen melden.«
»Das ist nicht der Grund meines Anrufs«, gab Isabel zurück. »Mein Bruder ist verschwunden.«
»Sagen Sie das noch mal.«
Der spöttische Ton des Polizisten war wie weggeblasen. Isabel hörte das Klicken eines Lichtschalters und ein unwilliges Stöhnen
der Frau, die das Telefon abgenommen hatte. Dann erklärte sie ihm, so gut sie konnte, dass Teo wahrscheinlich zum Turm gefahren,
dort aber nach Aussage seines Chefs nie angekommen war.
»Hat er denn kein Handy?«, fragte der Inspektor.
»Doch, aber das hat er zu Hause vergessen.«
»Ja, und warum rufen Sie ausgerechnet mich an? Ihrer Schilderung nach sehe ich keinen Zusammenhang zwischen dem, was Ihrem
Freund zugestoßen ist, und dem Verschwinden Ihres Bruders. Wenn Sie möchten, kann ich auf dem Revier Bescheid geben, aber
die Zuständigkeit für den Fall liegt sicher bei einem Kollegen.«
»Ich weiß, es ist nur …« Isabel entging nicht, dass in der Antwort des Polizisten einige Ironie mitschwang. Wenn er ihr jetzt helfen würde, wollte
er auch eine
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