Der 26. Stock
O’Reilly sprechen.«
»Diesen hässlichen Iren?«, fragte die Stimme und hustete lautstark. »Der ist noch irgendwo auf Arbeit, meine Gute. Ach ja,
ich bin übrigens seine Frau. Und wer sind Sie?«
»Ich heiße Isabel Alvarado und bin die Schwester von Teo. Er, also …«
»Teo, na klar, ich weiß doch, wer Teo ist. Der Junge ist klasse.« Isabel hörte, wie sie ein Feuerzeug betätigte und dann Rauch
ausstieß. »Er war eben hier.«
Isabel atmete auf. Sicher hatte Teo zu Hause getrödelt und war zu spät zur Arbeit gekommen. Das musste es sein.
»Ist er mit Ihrem Mann mitgefahren?«
»Ach woher denn, als er hier aufgekreuzt ist, waren die Reinigungsteams schon längst weg. Ich hab ihn wieder heimgeschickt.
Mein Mann hat mir erzählt, was gestern Nacht passiert ist. Da hätte Teo doch gar nicht kommen müssen. Ich habe ihm auch angeboten,
ihn heimzufahren, aber … Er hat gemeint, das wäre nicht nötig.«
Isabel erklärte der Frau, wie erschrocken sie gewesen sei, als sie Teo nicht zu Hause angetroffen habe. Er habe sein Handy
nicht mit, und das von Mr O’Reilly sei ja anscheinend nicht angeschaltet. Die Frau versprach, sie würde versuchen, ihren Mann
zu erreichen und herauszufinden, wo Teo war.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte sie, »wahrscheinlich hat er länger gebraucht und ist jetzt gleich bei Ihnen. Übrigens,
ich hatte den Eindruck, er ist irgendwie sauer.«
Isabel gestand, er sei nachts zuvor sehr missmutig nach Hause gekommen. Die Frau antwortete, sie solle sich keine Gedanken
machen, niemand glaube, dass Teo irgendeine Schuld träfe. Ihr sei der Junge immer als ausgesprochen fleißig geschildert worden.
Dann entschuldigte sich Isabel für die späte Störung. Die Frau gähnte noch einmal und versprach, sie anzurufen, sobald sie
ihren Mann erreicht hätte.
Isabel stand auf, um sich umzuziehen und das Bettsofa vorzubereiten, aber dann wählte sie erneut O’Reillys Nummer. Inzwischen
war sie todmüde und gegessen hatte sie auch noch nichts. Aber sie würde nicht aufgeben, bis sie O’Reilly erreicht und von
ihm gehört hatte, dass ihr Bruder bei ihm war, oder bis Teo nach Hause kam. Jetzt hatte sie eine zusätzliche Sorge im Kopf.
Vielleicht entging ihr deshalb, dass im Regal etwas fehlte, das sie vor Tagen dort hingelegt hatte.
Er war der Einzige, der an der Haltestelle ausstieg. Der Nachtbus fuhr mit seiner Handvoll Fahrgäste weiter, vorbei an der
gewaltigen Silhouette des Büroturms. Bleiches Mondlicht bestrahlte die oberen Stockwerke. Teo überquerte die Straße. Sein
Rucksack war schwer, mit dem Arbeitsoverall und all den anderen Sachen.Den ganzen Tag über war er unsicher gewesen, vor allem in den letzten Stunden. Nachdem er wie fast jeden Morgen in der leeren
Wohnung aufgewacht war, hatte er angefangen, sich einen Plan zurechtzulegen. Als es dann Zeit wurde, sich anzuziehen, kamen
ihm die Ereignisse der Nacht zuvor in den Sinn. Fast eine Stunde lang überlegte er hin und her. Am liebsten hätte er Isabel
im Büro angerufen, aber dann fiel ihm wieder ein, was sein Chef auf der Heimfahrt gesagt hatte. Ja, wozu sollte er ihr etwas
erzählen? Zweifellos würde sie ihm nicht glauben und sich nur Sorgen machen und denken, Teo hätte sich alles ausgedacht. Und
das wollte er nicht.
Als er sich schließlich durchgerungen hatte, seinen Plan umzusetzen, war es schon sehr spät. Er zog sich so schnell wie möglich
an, stopfte alles Nötige in seinen Rucksack und verließ die Wohnung. Gerade als er die Tür zumachte, klingelte das Telefon,
und er wäre fast noch mal hineingegangen, um abzunehmen. Bestimmt war es seine Schwester, die ihm sagen wollte, dass sie später
kommen würde, und fragen, ob es ihm gut ginge. Wenn er den Anruf entgegengenommen hätte, hätte er nicht mehr die Kraft gehabt,
das zu tun, was er tun musste.
Teo erreichte die Treppe vor dem Gebäude und ging daran vorbei. Durch die Glasscheiben sah er die zwei Wachleute, die aufmerksam
das Foyer beobachteten. Aber Teo kannte die Ein- und Ausgänge des Gebäudes gut, denn als Neuling hatte er einmal eine der
unerquicklichsten Aufgaben erledigen müssen: die Müllcontainer mit den Säcken füllen, die die anderen mit dem Lastenaufzug
herunterschickten, und die Container über die Tiefgaragenauffahrt auf die Straße hinausrollen, wo die Müllabfuhr sie leerten.
Jetzt würde alles ein Kinderspiel werden. Zuerst hatte er daran gedacht, den Overall überzuziehen
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