Der 26. Stock
gesprochen hatte,die einzige Chance, das Geheimnis aufzudecken, das sich hinter den Wänden des Turms verbarg, und zu erfahren, was mit ihren
Kollegen und Teo passiert war. Isabel nahm den ihr angebotenen Arm. Gaardners Anzug war aus einem samtigen Stoff und fühlte
sich angenehm an. Mit der freien Hand kramte er eine Magnetkarte aus der Tasche und reichte sie Isabel.
»Hier, Ihre neue I D-Card . Sie werden im 26. Stock arbeiten, wie ich auch. Auf geht’s.«
»Ich muss noch meine Sachen holen, Señor Gaardner«, entschuldigte sich Isabel. Im 26. Stock. Das war die Chefetage.
»Lassen Sie nur, nachher schicken wir jemanden her. Und nennen Sie mich nicht Señor Gaardner. Apolo genügt. Auf unserem Stockwerk
sprechen wir uns alle mit Vornamen an, unabhängig von der Position.«
»Dann bin ich Isabel.«
Gaardners Augen waren von einem merkwürdigen Grünblau. Isabel hatte das Gefühl, dass diese Augen versuchten, sie zu durchdringen,
aber das störte sie nicht im Geringsten.
»Gut … Isabel.«
Sie lachten und spazierten gemächlich Richtung Aufzug. Einige Neugierige, die Isabels Geschrei aus Rais Büro gehört hatten
und auf den Korridor hinausgetreten waren, standen mit offenem Mund da. Keiner traute sich, etwas zu sagen. Bei einer solchen
Erscheinung konnte es sich nur um einen Topmanager handeln. Als Isabel im Aufzug ihre Karte durch den Schlitz zog und der
Fahrstuhl sich in Bewegung setzte, war ihr federleicht zumute. Señor Gaardner sah ihr unverwandt in die Augen.
»Waren Sie schon einmal auf der 26. Etage?« Isabel schüttelte den Kopf. »Dann werden Sie vielleicht überrascht sein. Die Firma meint es sehr gut mit ihren leitenden
Angestellten.«
Als sich die Aufzugtüren öffneten, bemerkte sie als Erstes, wie sich die Luft verändert hatte. Ein seltsamer Duft, den sie
nicht einzuordnen vermochte, erfüllte den Raum.
»Jasmin«, erklärte Gaardner, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Haben Sie schon mal von Feng Shui gehört? Wir habenhier richtige Experten dafür. Jedem Bereich des Stockwerks ist ein anderer Duft zugeordnet, passend zu der Tätigkeit, die
dort verrichtet wird. Jasmin ist ein vertrauter Duft, er hilft, sich bei der Ankunft heimisch zu fühlen.«
Isabel lächelte. Sie hatte zwar Untersuchungen dazu gelesen, welchen Einfluss die Ausstattung des Arbeitsplatzes auf die Angestellten
haben konnte, aber nie viel darauf gegeben. Sie sah sich in dem großzügigen Raum um, der sich vor ihr öffnete. In anderen
Stockwerken hätte man diesen Platz mit Schreibtischen zugestellt. Hier stand in der Mitte ein Springbrunnen aus weißem Marmor,
und rundherum vier breite, granatrot bezogene Sessel.
»Kommen Sie«, sagte Gaardner und fasste Isabel an der Hand.
Sie widersetzte sich nicht. Sie war wie hypnotisiert von dem Ort, von Gaardners Stimme, von dem Plätschern des Wassers. Gaardner
trat an den Rand des Brunnens und zeigte auf das Becken. Fasziniert sah Isabel Dutzende bunter Zierfische, die zwischen den
Algen und den Steinen am Grund des Brunnens schwammen.
»Das ist unser persönliches Aquarium«, erklärte Gaardner. »Jeder Fisch trägt den Namen eines Mitarbeiters. Sehen Sie den da
drüben? Das ist Apolo fünf. Fragen Sie lieber nicht, was aus den anderen vier geworden ist. Manchmal folgen sie leider der
alten Unternehmensmaxime: ›Der große Fisch schluckt den kleinen.‹«
Isabel musste lachen.
»Welcher gefällt Ihnen?«
Sie betrachtete die Fische, die von einer Seite zur anderen schwammen. Dann zeigte sie auf eine Schnecke, aus der ein winziger
Fisch mit orangen Schuppen hervorsah. Gaardner starrte konzentriert auf die Wasseroberfläche und stieß unvermittelt mit der
Hand hinein. Keine Sekunde später zog er sie wieder hinaus. Zwischen den Fingern wand sich der orangefarbene Fisch und schnappte
mit zitternden Kiemen nach Luft.
»Isabel, darf ich Ihnen
Isabel
vorstellen.«
Erneut lachten sie beide und Gaardner öffnete die Finger, um den Fisch wieder ins Wasser zu entlassen.
»Nun gut«, fuhr Gaardner fort, »machen wir gleich weiter mit der Vorstellungsrunde.«
Sie durchquerten den Vorraum mit dem Springbrunnen und kamen in einen Flur, von dem geräumige Büros abgingen, weit großzügiger
als Rais Büro. Es gab keine Besucher, keine Kunden, nur Zimmer mit halb offen stehenden Türen, wo Gaardners Teammitglieder
ihren Aufgaben nachgingen. Isabel hatte den Eindruck, in ein anderes Universum innerhalb desselben Gebäudes
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