Der 26. Stock
Gymnasium
gab’s dann die Partys, die Jungs … Als ich mit dem Studium anfing, habe ich gar nicht mehr geübt. Und seit ich arbeite, na, du kennst das ja. Ich bin immer
ganz gerne in die Firma gekommen,zu einem Großteil deinetwegen, Isabel. Bis vorige Woche habe ich den ganzen Tag nur vor dem PC gehockt, mit einem Haufen Leuten
in einem Büro eingepfercht. Zeit hatte ich nur zum Arbeiten. Hier ist das anders, und alle bestärken mich darin, wieder zu
üben. Weißt du, ich glaube, die anderen helfen mir, das Beste aus mir zu machen. Ich bin noch keine Woche da, und schon kommt
es mir vor, als wäre ich ein ganz anderer Mensch.«
Isabel nahm noch einen Schluck und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Sie sah keine Aktenschränke, nichts, was an
einen herkömmlichen Schreibtisch erinnert hätte. Eine ungeheure Neugier überkam sie. Sie fühlte sich wie ein kleines Mädchen,
das zum ersten Mal den Regenbogen sieht.
»Und was machst du jetzt genau? Was ist dein Job hier?«
Luna lachte abermals herzlich.
»Das ist das Allerbeste«, erklärte sie. »Meine Aufgabe macht mir auch noch richtig Spaß. Ich muss nur ein bisschen tratschen.
Ich bin eine Mischung aus Detektivin und Klatschspalten-Kolumnistin.«
Isabel runzelte die Stirn. Was meinte ihre Kollegin damit?
»Da, schau mal«, sagte Luna. Sie beugte sich vor und zog unter einem Stapel Kissen einen ultradünnen Laptop hervor. Sie klappte
ihn auf und drückte eine Taste. Im Flüsterton sprach sie weiter: »Eigentlich dürfte ich dir das nicht zeigen – wir sollen
uns hier aus der Arbeit der anderen heraushalten. Aber wenn du’s keinem sagst, dann bleibt das ja unter uns.«
Luna tippte etwas in ihren PC ein und drehte ihn so, dass Isabel mit auf den Bildschirm sehen konnte.
CORTÉS MORGAN, RAFAEL – Personalausweisnummer 98923822
»Wer ist das?«, fragte Isabel.
»Weiß ich nicht. Aber genau das soll ich herausfinden. Ich recherchiere im Internet und in diversen Datenbanken, zu denen
ich über die Firma Zugang habe, und dann schreibe ich einen Berichtüber die Person, die mir auf dem Monitor angezeigt wurde. Wenn ich fertig bin, reiche ich den Bericht in einem verschlossenen
Umschlag an Apolo weiter, und das war’s, Auftrag erledigt.«
Isabel betrachtete den Namen. Wer mochte das sein? Ob der Betreffende wusste, dass sein Name in diesem Moment auf einem Computerbildschirm
stand?
»Klingt gar nicht so einfach«, sagte sie.
»Na ja, man muss natürlich schon ein gewisses Maß an Wissbegierde mitbringen, und man muss sich mit Internetrecherchen auskennen,
aber die Datenbanken, über die wir hier verfügen, sind gigantisch. Herauszufinden, was der Knabe im vergangenen Monat an Anrufen
getätigt hat, kostet mich ein paar Sekunden. Unglaublich, oder? Der Traum eines jeden Klatschreporters!«
Isabel sah Luna ins Gesicht. Die junge Frau genoss ihre Arbeit offenbar; welche Macht ihr über diesen Mini-PC zur Verfügung
stand, war ihr anscheinend nicht klar.
»Luna, siehst du denn nicht, dass das illegal ist?«
Lunas Miene veränderte sich. Ihr Lächeln wich einem ernsten, fast abschätzigen Gesichtsausdruck.
»Jetzt sei mal keine Spielverderberin, ja? Das meiste, was man so macht, ist illegal, Isabel. Gibst du etwa bei der Steuererklärung
alles bis auf den letzten Cent an? Bist du im Auto immer angeschnallt? Ich habe hier meinen Spaß und füge keinem Menschen
Schaden zu, und die Firma ja wohl auch nicht.«
»Aber das kannst du doch gar nicht wissen. Wenn die Firma diese Informationen zu illegalen Zwecken missbraucht, bist du dafür
verantwortlich.«
Luna brach in Gelächter aus. Sie schaltete den Rechner aus und erhob sich.
»Ich tue hier nichts Böses«, bekräftigte sie, während sie ihre Haare zurückband und wieder zur Geige griff. »Wir beraten einfach
nur den Vorstand. Na, egal, war wohl keine so gute Idee, dir das zu zeigen. Ich dachte, du würdest das auch gut finden, aber
du bist ja fast so drauf wie Miguel.«
»Miguel David?«
Das letzte Mal hatte Isabel diesen üblen Gerüchteverbreiter gesehen, als er seine Sachen aus dem Büro geholt hatte, weil er
befördert worden war.
»Ja, ja, der«, antwortete Luna, während sie in ihren Noten blätterte. Das Gespräch schien ihr unangenehm zu sein. »Am ersten
Tag war er von seinem neuen Job ganz begeistert. Aber am nächsten Morgen kam er mit Augenringen an, so was hast du noch nicht
gesehen. Er behauptete, er hätte kein Auge
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