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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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eingetreten zu
     sein, einen Mikrokosmos, den sie sich niemals hätte vorstellen können. Gaardners Mitarbeiter waren sehr unterschiedliche Menschen,
     und alle schienen sich zu freuen, dass Isabel da war.
    »Bei uns herrscht keinerlei Konkurrenzdenken«, sagte Gaardner, während sie eine Art Ruheraum durchquerten, in dem Möbel und
     Wände in verschiedenen Blautönen gehalten waren. Aus irgendeiner Ecke drangen aus verborgenen Lautsprechern sanfte Saxophontöne.
     Isabel nahm einen deutlichen Duft nach Veilchen wahr. »Jeder weiß, worin seine Aufgabe besteht, und zählt zu den Besten seines
     Fachs, sonst hätte ich ihn ja nicht ausgewählt. Was unsere kleinen Extras hier angeht, so kostet das die Geschäftsführung
     nicht einmal ein Prozent der Erträge, die wir der Firma einbringen. Und wenn es Unstimmigkeiten gibt, sind wir alle gewillt,
     sie umgehend auszuräumen. Wir funktionieren hier wie Rädchen in einem Getriebe: Jeder verrichtet eine ganz spezifische Tätigkeit,
     und jeder weiß, dass seine Arbeit ohne die Tätigkeit der anderen nutzlos wäre.«
    Nachdem sie das blaue Zimmer hinter sich gelassen hatten, kamen sie in einen weiteren Flur, in dem Gemälde unterschiedlichster
     Stilrichtungen hingen. Die Türen der angrenzenden Büros waren verschlossen. Gaardner ging auf die Doppeltür am Ende des Gangs
     zu. Man hörte ferne Geigenklänge. Gaardner klopfte an, und von drinnen antwortete eine kindliche Frauenstimme.
    »Herein!« Gaardner öffnete die Tür. »Apolo! Ich habe gerade ein bisschen geübt, um mich zu entspannen.«
    Isabel trat vor, und ihr Herz füllte sich mit Freude. Vor einem kleinen Notenständer stand Luna, ihre frühere Mitarbeiterin,
     die befördert worden war.
    »Isabel!«, rief sie und legte Geige und Bogen auf ein Glastischchen. Sie lief auf Isabel zu, und ehe diese reagieren konnte,
     drückte sie sie so fest, dass ihr fast der Atem wegblieb. »Was machst du denn hier? Du wirst doch nicht etwa   …?«
    Gaardner beantwortete ihren fragenden Blick mit einem Nicken, und die junge Frau machte einen Freudensprung. Isabel konnte
     nicht aufhören zu lächeln. Luna hatte ihr Büro in verschiedenen Rosatönen dekoriert, von den Vorhängen und Möbeln bis hin
     zu einem Haufen Kissen und Decken, die auf dem Boden herumlagen.
    »Gut, ich lasse euch beide mal allein, bestimmt habt ihr einander viel zu erzählen, nicht wahr? Isabel, was Ihr Büro angeht,
     so können Sie   …«
    »›Können Sie‹?«, wiederholte Luna. »Sag du zu ihr, sie ist doch nicht meine Mutter!«
    Gaardner musterte Isabel etwas verwirrt, und diese nickte aufmunternd. Lunas spontane Ausbrüche hatten ihr gefehlt.
    »Also, dann   … kannst
du
dein Büro nach Belieben einrichten. Du brauchst nur den PC einzuschalten.«
    »Aber was ist überhaupt meine Aufgabe?«
    Gaardner drehte sich in der Tür um.
    »Mach dir darüber keine Gedanken«, antwortete er im Gehen. »Es genügt, wenn du den Anweisungen auf dem Rechner folgst.«

27
    »Er sieht gut aus, oder? Ich glaube, sein Vater kommt aus Schweden«, sagte Luna leise, als sich die Tür hinter Gaardner geschlossen hatte.
     Isabel wusste nicht, was sie sagen sollte, obwohl sie ihr gerne zugestimmt hätte. »Keine Ahnung, ob er schon vergeben ist.
     Ich hätte aber nichts dagegen, das Büro mit ihm zu teilen.«
    Sie lachten beide. Luna legte in einer Ecke des weiträumigen Raums einige Kissen aus und bat Isabel, es sich gemütlich zu
     machen. Dann öffnete sie die Tür eines kleinen Kühlschranks und holte zwei Dosen Limonade heraus. Als sie zweimal in die Hände
     klatschte, wurde die Beleuchtung heruntergedimmt und klassische Musik erklang. Isabel hatte sich schon lange nicht mehr so
     entspannt gefühlt. In kleinen Schlucken trank sie von ihrer Limonade, während Luna erzählte, wie begeistert sie von der neuen
     Abteilung war und wie schnell sie sich eingefunden hatte. Dann schilderte sie Isabel die Kollegen: einen Juristen, eine Informatikerin
     und sogar einen Historiker, der in seinem langen Leben viele einflussreiche Politiker beraten hatte.
    »Du kannst hier machen, was du willst«, sagte Luna und deutete auf ihre Geige, »und das Gehalt ist einfach unglaublich.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du ein Instrument spielst.«
    Luna lachte. Isabel hatte sie immer als fröhliches Mädchen erlebt, aber so strahlend hatte sie sie noch nie gesehen.
    »Meine Eltern haben mich von klein auf in die Musikschule gesteckt. Angeblich war ich sogar ein Wunderkind. Auf dem

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