Der 26. Stock
überzeugt bin, dass ich gute Arbeit
leisten werde. Ob ich besser bin als die anderen Bewerber, kann ich allerdings nicht sagen. Dazu müsste ich sie erst kennenlernen.
Ich hätte in einer Personalabteilung aber auch nichts verloren, wenn ich leichtfertig über Unbekannte urteilen würde.«
Señor Hernán hatte lächelnd genickt, und zwei Tage später hatte Isabel ihre neue Stelle angetreten. Nach zehn Monaten war
sie zur Leiterin der Personalauswahl befördert worden und bekam ein eigenes Büro. Das war nun drei Jahre her. Isabel liebte
ihre Arbeit. Sie führte gerne die Interviews mit den Berufseinsteigern und versuchte sie freundlich zu behandeln, sie nicht
nervös zu machen oder in die Defensive zu drängen. Viele würden eine Absage erhalten, aber sie sollten das Bewerbungsgespräch
wenigstens in guter Erinnerung behalten.
Isabel sah sich noch einmal um, ob sie auch nichts vergessen hatte, und schrieb dann noch schnell eine Notiz, die sie mitten
auf den Schreibtisch legte:
Lieber Teo, ich hoffe, Du hattest einen schönen Tag. Nachher erzählst Du mir von Deinem Kurs, ja ? Ich bleibe auf, bis Du heimkommst. Ich hab Dich lieb.
Als sie auf den Flur trat, war wie üblich kein Mensch mehr zu sehen. Es war schon paradox: Obwohl sie in einer Abteilung tätig
waren, die für eine entspannte Atmosphäre und das Wohlbefinden aller Angestellten sorgen sollte, flüchteten die meisten ihrer
Kollegen nach Feierabend schnellstmöglich in die Pubs und Strip-Bars der Umgebung, wo sie der Alkohol so weit aufmuntern sollte,
dass sie am nächsten Tag in aller Früh wieder aufstehen und arbeiten gehen konnten.
Vor den Aufzügen drückte Isabel auf eine der »Ab«-Tasten. Es gab drei Lifte, aber sie rief immer nur einen, weil sie sonst
das Gefühl gehabt hätte, die Aufzüge für sich allein zu beanspruchen; dabei wusste sie natürlich, dass die Steuerung immer
nur den nächsten Fahrstuhl herschickte. Als die Tür sich öffnete, lächelte ihr ein älterer Mann in roter Uniform entgegen.
»Guten Abend, Señorita Alvarado.«
»Hallo, Mateo.«
Sie lächelte zurück. Der Mann, dessen schütteres Haar schon lange ergraut war, betätigte den Knopf zur Tiefgarage, und der
Aufzug setzte sich in Bewegung.
»Wie geht’s? Was hat die Kernspintomografie bei Ihrer Enkelin ergeben?«
Mateo zog einen Umschlag aus seiner Jacke und reichte ihn Isabel. Der Umschlag enthielt mehrere Blätter mit dem Briefkopf
eines Krankenhauses und dunklen Röntgenbildern, auf denen mit einiger Mühe weiße Flecken zu erkennen waren. Mateo zeigte darauf:
»Der Doktor sagt, es sind weniger geworden. Die Bestrahlung scheint zu wirken.«
»Vielleicht kann man sie jetzt ja noch mal operieren«, sagte Isabel vorsichtig.
»Das wäre schön. Wissen Sie, ich … ich mach mir wieder Hoffnungen«, antwortete er mit zitternder Stimme.
»Und weiß man was von …?«
Der Fahrstuhlführer schüttelte den Kopf, während sich die Türen bereits automatisch öffneten.
»Nein, sie ist noch nicht wieder aufgetaucht.«
»Machen Sie sich nicht so viele Gedanken, Mateo. Alles wird gut«, sagte Isabel und zwinkerte ihm zum Abschied aufmunternd
zu.
Am Eingang zur Tiefgarage grüßte Isabel den Parkplatzwächter und ging dann auf ihren alten Ford zu. Die Gespräche mit Mateo
machten sie immer ein wenig traurig. Vor wenigen Monaten hatte die Geschäftsführung beschlossen, Fahrstuhlführer einzustellen.Isabel war davon nicht besonders angetan; es erinnerte sie an die Dienstboten von früher. Aber Mateo gefiel ihr. Er war der
Einzige unter den Fahrstuhlführern, der ihr sympathisch war. Die anderen waren alles junge Kerle, die nur auf Trinkgelder
aus waren. Wenn sie sich das Geld für ein Motorrad zusammengespart hatten, würden sie kündigen. Mateo hingegen brauchte den
Job. Früher hatte er im Schlachthof gearbeitet, aber irgendwann hatte sein Chef ihn für zu alt befunden und mit einer mageren
Abfindung auf die Straße gesetzt. Mateo musste jedoch für seine Tochter und seine Enkelin sorgen. Zudem hatte seine Enkelin
von klein auf erfahren müssen, wie hart das Leben sein konnte. Isabel wusste, dass Mateo für die Kleine ähnliche Gefühle hegte
wie sie für Teo. Wahrscheinlich fühlte sie sich ihm deshalb so verbunden. Wenige Tage, nachdem er die Stelle im Schlachthof
verloren hatte, war seine Tochter ohne Vorwarnung verschwunden. Das kleine Mädchen hatte sie bei ihm gelassen. Zum Abschied
hatte sie auf einen
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