Der 26. Stock
Kissen, und sank in Schlaf.
13
Als Isabel die Augen aufschlug, traf sie ein Gedanke wie ein heftiger Schlag. Sie stellte die Weckfunktion des Handys ab und stand auf. Dann
schaltete sie den Fernseher und den Videorecorder an. Es gab auf dem Band, das sie sich angesehen hatte, ein Detail, das sie
nicht bewusst wahrgenommen hatte, eine klitzekleine Veränderung gegenüber dem Foto, das sie vor wenigen Tagen im Kopierer
gefunden hatte. Isabel drückte auf Play. Das Möbelstück, das Rauschen und dann wieder die kaputte Scheibe. Die Glastür, Scherben
vor dem Hochhaus. Aber das war nicht das, was sie suchte. Die Kamera schwenkte nach unten, und die drei Männer und das Polizeiauto
kamen ins Bild. Auf dem Video war der Wagen ganz zu sehen, nicht nur die Heckscheibe. Isabel ging zum Regal, notierte sich
etwas auf ein Papier, das sie in ihre Aktentasche steckte, und spulte das Video zurück. Sie trat in den Flur und zog Teos
Zimmertür zu, wie sie es jeden Morgen tat, um ihn nicht zu wecken. Dann duschte sie, zog sich an und trank einen Kaffee. Bevor
sie ging, nahm sie das Band aus dem Videorecorder und versteckte es in einer Schublade. Sie wusste nicht, warum sie das tat.
Vielleicht lag es an einer irrationalen Furcht, die darin enthaltenen Bilder könnten lebendig werden.
Während sie an der Schranke zur Tiefgarageneinfahrt wartete, betrachtete Isabel durch die Windschutzscheibe hindurch die Silhouette
des Hochhauses, die sich gegen den Morgenhimmel abhob. Ein imposantes Bauwerk mit einer makellosen gläsernen Fassade. Sie
hatte morgens nie näher hingesehen. Sonst hätte sie vielleicht eines Tages ein Loch entdeckt, das Loch, das sie jetzt sodeutlich in Erinnerung hatte. Ein lautes Hupen ließ sie aufschrecken. Das Fahrzeug, das noch vor Sekunden vor ihr in der Schlange
gestanden hatte, fuhr schon in die Tiefgarage ein. Sie streckte entschuldigend die Hand aus dem Fenster und gab Gas.
Sie haben eine neue Nachricht.
Das Icon für eingehende interne Nachrichten blinkte, dazu kam ein Piepton. Der junge Mann, der vor ihr saß, unterbrach seine
Ausführungen.
»Entschuldigen Sie«, sagte Isabel und stellte den Ton an ihrem Rechner ab. »Bitte fahren Sie fort.«
Der Bewerber nickte. »Also, mein Vater hat immer wieder versucht, mich zu überreden, aber ich muss das machen, was mich wirklich
ausfüllt, und jetzt weiß er nicht mal, dass ich hier bin, er hat mir nämlich immer gesagt: Du wirst bei mir in der Firma einsteigen.
Aber ich will nicht für ihn arbeiten, er setzt mich sonst doch nur auf dem Posten ein, den er für mich gut findet.«
Isabel machte eine Handbewegung, als würde sich das, was der junge Mann da sagte, ganz von selbst verstehen. Er lächelte zufrieden.
»Und dann ist da noch meine Mutter, die immer schon gedacht hat, dass ich wirklich Talent habe, und die mich wie einen Sohn
liebt, na ja, klar, ich bin ja auch ihr Sohn. Ich will sagen, wenn nicht, wäre es ganz genauso, also, ich schätze, sie würde
mich dann genauso lieben, und sie …«
Isabel schaltete auf Durchzug. Sie hatte schon vor einigen Minuten den Faden verloren. Der junge Mann war mit einem schüchternen
Blick und einem hübschen Empfehlungsschreiben in der Bewerbungsmappe angerückt. Sie hatte ihn zum Reden ermutigt, weil sie
glaubte, dass man ihm erst alles aus der Nase ziehen musste, bis er an Sicherheit gewann und allmählich seine Ziele und seine
Persönlichkeit erkennen ließ. Aber genau das Gegenteil war eingetreten. Er hatte angefangen zu erzählen und wollte gar nicht
wieder aufhören. Unverhohlen legte sie ihrenNotizblock beiseite und warf einen Blick auf den Computerbildschirm. Sie haben eine neue Nachricht. Isabel klickte auf Öffnen.
Ich habe mit Cassandra gesprochen. Wir würden gerne mit dir mittagessen gehen. Treffen wir uns um zwei in der Kantine?
Hugo
Der junge Mann hielt für einen Moment inne, nahm dann aber seine Rede wieder auf. Bei einem anderen Kandidaten hätte Isabel
sich ertappt gefühlt und einen Blick auf ihren Notizblock geworfen, bevor sie Hugos Nachricht beantwortete, so dass der Eindruck
entstand, sie schreibe ihre Gedanken zu dem Bewerber nieder, aber diesmal hatte sie nicht einmal dazu Lust.
Okay, wir sehen uns gleich in der Kantine. Isa
Dann unterbrach Isabel den jungen Mann höflich und teilte ihm mit, das Gespräch sei nun beendet. Nachdem er sich noch eine
Viertelstunde lang dafür bedankt hatte, zum Gespräch
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