Der 26. Stock
eingeladen worden zu sein, gelang es Isabel, ihn zum Aufzug zu komplimentieren.
Der Korridor war fast leer. Man hörte weder das Rattern der Drucker noch die üblichen Telefonate im Hintergrund. Die Mehrzahl
der Kollegen war wohl schon in die Kantine gegangen. Als Isabel an einem der Büros vorbeikam, blieb sie überrascht stehen.
Die Tür stand offen, und drinnen packte ein Mann einige Gegenstände in einen Karton mit dem Unternehmenslogo.
»Miguel?«
Miguel David drehte sich um. In der Hand hielt er eine Goldfigur, die einen Tennisspieler darstellte, eine Trophäe, die Miguel
beim Firmenturnier gewonnen hatte. Miguel hatte das gesamte Stockwerk über seinen Triumph informiert, doch Isabel glaubte,
dass er sich den Sieg irgendwie ermogelt hatte.
»Isabel! Wie schön, dich zu sehen! Nachher wollte ich sowieso bei dir vorbeischauen.«
Sein Gesicht hatte sich zu dem spöttischen Lächeln verzogen, das Isabel so unangenehm fand. Er zog dabei den linken Mundwinkel
hoch und kniff gleichzeitig das linke Auge zu. Hugo hatte diese Fratze sein Schmutzige-Wäsche-Grinsen getauft. Er konnte Miguel
ebenfalls nicht ausstehen.
»Was machst du da?«, fragte Isabel und deutete auf den fast vollen Karton.
Miguel zog die Schultern hoch. »Der Moment ist gekommen, meine Sachen zu packen und zu verschwinden.«
Isabel stand mit offenem Mund da. Miguel verließ die Firma. Auf diese Nachricht hatte sie immer gewartet, sie hatte sie richtig
herbeigesehnt, aber warum gerade jetzt? Warum hatte ihn die Geschäftsführung nicht schon viel früher vor die Tür gesetzt?
Vielleicht war es eine Entscheidung des neuen Abteilungsleiters.
»Komm, pack mit an, steh nicht so nutzlos rum.«
Isabel nickte und legte, ohne zu protestieren, die Ordner, die Miguel ihr reichte, in einen noch leeren Karton. Unter gewöhnlichen
Umständen hätte sie ihm nie geholfen, aber sie brannte vor Neugier zu erfahren, wie es zu dem Rausschmiss gekommen war, und
außerdem hatte sie ein klein wenig Mitleid mit dem gefeuerten Kollegen.
»Hat Rai dir die Nachricht überbracht?«, fragte sie vorsichtig.
»Ja, ich habe es von Rai erfahren. Heute Morgen hat er mich in sein Büro rufen lassen. Und ich, also, ich habe nicht mit der
Wimper gezuckt. Kannst es dir ja vorstellen. Der Kerl ist schon ein Idiot. Ich weiß nicht, wie er es auf Albertos Posten geschafft
hat. Aber egal, von dem muss ich mir jedenfalls jetzt nichts mehr sagen lassen.«
»Du hältst ihn für dumm?«, fragte Isabel verwundert.
Sie konnte sich nicht erinnern, dass er je zuvor über Rai gelästert hätte. Die beiden Männer wussten, dass keiner von ihnen
ein Heiliger war, und schienen einander auf merkwürdige Weise zu respektieren, wie bei einem stillen, aber stabilen Nichtangriffspakt.
»Ja, er ist ein richtiger Trottel«, bestätigte Miguel, während ereinen Karton mit Packband zuklebte. »Ich habe ihn immer für schlau gehalten, so wie er sich bei Alberto eingeschleimt und
hinter seinem Rücken intrigiert hat. Aber jetzt, wo er es auf seinen Posten geschafft hat, ist ihm das Ganze zu Kopf gestiegen.
Heute Morgen, als ich ihn nach den Gründen fragte, da hat er gesagt, dass mich das nichts angeht, es sei eine Entscheidung
unserer Oberbosse und basta. Der führt sich auf wie der Oberchef des Universums. Aber behalt das für dich, Süße.«
Isabel zwang sich zu einem Lächeln, aber innerlich hätte sie Miguel am liebsten seine Tennistrophäe um die Ohren gehauen.
Sie atmete tief durch und wandte sich zum Gehen:
»Na dann, ich muss jetzt zum Mittagessen. Wird allmählich spät«, entschuldigte sie sich. An der Tür drehte sie sich noch mal
um. Nicht, dass ihr viel daran gelegen hätte, mit Miguel im Guten auseinanderzugehen, aber schließlich waren das die letzten
Worte, die sie mit ihm wechseln würde. »Und was wirst du jetzt machen?«
»Nun ja, meine Sachen wieder einräumen, schätze ich. Jetzt habe ich mehr Platz als je zuvor.«
»Wie meinst du das?«, fragte Isabel stirnrunzelnd.
Mit seinem typisch überheblichen Grinsen ging Miguel auf sie zu und legte ihr so unvermittelt den Arm um die Schultern, dass
sie sich nicht rechtzeitig entziehen konnte.
»Süße, ich glaube, du hast mich missverstanden. Ich ziehe einige Stockwerke höher. Ich bin befördert worden, Isabel.«
Sie schüttelte seine ekelhafte Umarmung ab und musterte ihn verblüfft.
»Aber ich dachte …«
»Klar.« Miguel machte eine herablassende Geste. Er schien ihr Erstaunen zu
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