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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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genommen hatte. Alle waren
     mit einem roten Kreuzchen markiert. Als sie sämtliche Dateien durchgesehenhatte, wurde ihr klar, dass ihr einige der Gesichter bekannt vorkamen. Sie sah in ihrem eigenen Archiv auf dem PC nach. Ja,
     da hatte sie ein paar Personen mit übereinstimmenden Vornamen und Initialen, aber die Fotos passten nicht zusammen. Vielleicht
     war sie ihnen nur mal kurz im Haus begegnet. Und jetzt tauchten sie in dieser merkwürdigen Datei auf, die Carlos angelegt
     hatte. Wenn er sich die Mühe gemacht hatte, all die Dateien zusammenzuführen, so mussten diese Personen etwas gemeinsam haben,
     etwas Wichtiges, das einem nicht entgehen sollte. Dem Anschein nach hatten sie alle für die Firma gearbeitet. Unter der Rubrik
     Tätigkeitsbereich war bei den meisten verzeichnet, in welchen Unternehmenseinheiten sie über die Jahre tätig gewesen waren:
     Marketing, Buchhaltung, Rechtsabteilung   … Bei anderen – einer Minderheit – stand nichts in dieser Rubrik. Überall waren die Hobbies aufgeführt, die Ausbildungswege
     und Wohnorte, von mitten in der Stadt bis zu den Schlafstädten im Süden. Dazu das allgegenwärtige rote Kreuzchen.

    Isabel betrachtete die Gesichter. Was für ein Geheimnis verband sie? Weitere Informationen enthielt die CD nicht. In diesem
     Moment klopfte es an der Verbindungstür zum Nebenzimmer. Beatriz erschien in der Tür.
    »Isabel, die nächste Kandidatin ist da. Wenn du sehr beschäftigt bist, können wir das übernehmen, aber   …«
    »Nein, keine Sorge«, sagte Isabel. »Schick sie mir in fünf Minuten rein.«
    Sie wusste, dass all die Zweifel in ihrem Kopf nicht einfach verschwinden würden. Vielleicht aber würde sie leichter eine
     Lösung finden, wenn sie ihnen für einige Stunden keine Beachtung schenkte. Dennoch kam ihr noch etwas in den Sinn, was sie
     tun wollte, bevor die Bewerberin hereinkam. Sie suchte einen Namenauf der Liste aus, sah im Telefonverzeichnis nach und wählte die Nummer der Abteilung, in der die betreffende Person zuletzt
     verzeichnet war.
     
    + T . Alfredo
     
    »Ja?«, fragte eine unkonzentrierte Frauenstimme.
    »Hallo, ist Alfredo da? Ich wollte fragen, ob er heute in die Kantine geht.«
    »Was für ein Alfredo?«, fragte die Stimme unter vernehmlichem Gähnen.
    Isabel biss sich auf die Unterlippe. Das brauchte nichts zu heißen, es konnte aber genauso gut eine erste Bestätigung ihrer
     Vermutungen sein.
    »Alfredo Ta   … na, jetzt fällt mir sein Nachname nicht ein.«
    »Alfredo Torres?«
    »Ja, genau.«
    »Da kommen Sie aber etwas zu spät, meine Liebe«, sagte die Stimme spöttisch. »Wissen Sie denn nicht, dass er vor ein paar
     Monaten in die Konzernleitung versetzt worden ist?«
    Isabel bedankte sich für die Information, entschuldigte sich für die Störung und hängte rasch ein. Mehr brauchte sie nicht
     zu wissen. Die Frau am Apparat würde nun lediglich die Achseln zucken und sich weiter die Fingernägel feilen, bis irgendetwas
     Interessanteres hereinkam. In die Konzernleitung versetzt. Isabel runzelte die Stirn. Die Konzernleitung nahm den gesamten
     26.   Stock ein. Sie war natürlich eine der wichtigsten Abteilungen der Firma, unterstand dem Geschäftsführenden Direktor höchstpersönlich
     und berichtete an den Vorstand und dessen Präsidenten.
    Der nächste Anruf verlief ganz ähnlich. Auch María Teresa S. war nicht mehr in der bisherigen Abteilung tätig, sondern drei
     Wochen zuvor in die Geschäftsleitung versetzt worden. Zwei Anrufe, ein Ergebnis: der 26.   Stock. Da ging die Tür zu ihrem Büro auf, und eine junge Frau kam herein und entschuldigte sich schamrot für die Unterbrechung.

20
    Stille. Sie öffnete die Augen. Sie sah etwas wie dünne schwarze Linien vor einem weißen hügeligen Grund. Sie versuchte, die Arme auszustrecken,
     aber das ging nicht. Man hatte sie ihr an den Körperseiten fixiert. Stille. Nach einigen Sekunden begriff sie, dass die schwarzen
     Linien, die sie sah, nur die Grenze zwischen einem Stück Polsterung und dem nächsten waren. Die Decke, der Boden und die vier
     Wände waren mit einer dicken weißen Polsterschicht bezogen. Einzig die Umrisse einer Tür durchbrachen die Symmetrie der Wände.
     Ihr ging durch den Kopf, dass dahinter, in der Ferne, das Meer liegen musste, aber sie konnte es nicht hören, so wie sie auch
     nicht hörte, dass es in ihren Knochen jämmerlich knackte, als sie abermals versuchte, die Arme auszustrecken. Ein Schauer
     überlief sie. Die Stille umfasste

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