Der 3. Grad
die Sanitäter, die städtische Polizei – alle waren sie gekommen, um sein Werk zu bewundern. Oder vielmehr seine bescheidenen Anfänge.
Eine von ihnen hatte seinen Blick aufgefangen, eine Blondine – offenbar eine ziemlich hochrangige Polizistin. Sie schien auch eine gehörige Portion Mut zu besitzen. Er beobachtete sie, und er fragte sich, ob sie wohl seine Widersacherin werden würde. War sie eine würdige Gegnerin?
Er erkundigte sich bei einem der Schutzpolizisten an der Barrikade. »Die Frau, die gerade ins Haus gegangen ist, das ist doch Inspector Murphy, oder? Ich glaube, ich kenne sie.«
Der Polizist machte sich noch nicht einmal die Mühe, ihm in die Augen zu sehen. Typische Bullen-Arroganz. »Nein«, sagte er, »das ist Lieutenant Boxer. Von der Mordkommission. Angeblich ein beinhartes Luder.«
10
In dem viel zu kleinen Büro im zweiten Stock, in dem die Mordkommission untergebracht war, ging es zu wie in einem Taubenschlag – so etwas hatte ich an einem Sonntagmorgen noch nicht erlebt.
Im Krankenhaus hatte man mir bescheinigt, dass mir nichts fehlte, worauf ich gleich ins Büro gefahren war. Hier musste ich feststellen, dass das komplette Team sich bereits versammelt hatte. Es gab ein paar Hinweise, denen wir nachgehen konnten, auch wenn die Ergebnisse der Spurensicherung vom Ort der Explosion noch nicht vorlagen. Ein Bombenanschlag geht gewöhnlich nicht mit einer Kindesentführung einher.
Wir müssen das Baby finden
, sagten mir sämtliche Instinkte,
dann finden wir auch den, der für diese entsetzliche Tat verantwortlich ist
.
Ein Fernseher lief. Die Livebilder zeigten Bürgermeister Fiske und Polizeichef Tracchio am Ort des Geschehens. »Das ist eine furchtbare Tragödie und ein schändlicher Racheakt«, sagte der Bürgermeister, der schnurstracks vom ersten Loch des Olympic-Golfclubs herbeigeeilt war. »Morton und Charlotte Lightower gehörten zu den großzügigsten und engagiertesten Bürgern unserer Stadt. Und sie waren auch meine Freunde.«
»Und potente Spender, vergiss das nicht«, warf Jacobis Partner Cappy McNeil ein.
»Ich möchte allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sagen, dass unsere Polizei bereits energisch den ersten konkreten Hinweisen nachgeht«, fuhr der Bürgermeister fort. »Und ich möchte Ihnen allen versichern, dass es sich bei diesem Anschlag um einen isolierten Vorfall handelt.«
»X/L...« Warren Jacobi kratzte sich am Kopf. »Ich glaube, von denen habe ich auch ein paar Aktien in diesem Scheißteil, das sich mein Pensionsfonds schimpft.«
»Ich auch«, sagte Cappy. »In welchem Fonds bist du denn?«
»Ich glaube, er nennt sich ›Langfristiges Wachstum‹, aber der Typ, der das Ding so getauft hat, muss wohl einen ziemlich kranken Humor gehabt haben. Vor zwei Jahren hatte ich –«
»Wenn ihr zwei Finanzgenies eventuell mal einen Moment Zeit habt«, rief ich. »Es ist Sonntag, die Börsen haben heute geschlossen. Wir haben drei Tote, ein vermisstes Baby und ein Haus, das durch einen mutmaßlichen Bombenanschlag komplett abgebrannt ist.«
»Definitiv durch einen Bombenanschlag«, fiel Steve Fiori ein, der Pressesprecher der Abteilung. In Jeans und Turnschuhen hatte er sich bereits mit Anfragen von zig Redaktionen und Nachrichtenagenturen herumschlagen müssen. »Der Chef hat gerade die Bestätigung vom Sprengstoffkommando bekommen. Sie haben die Überreste von einem Zeitzünder und Spuren von C-4-Plastiksprengstoff von den Wänden gekratzt.«
Die Nachricht überraschte uns nicht sonderlich. Aber die Erkenntnis, dass in unserer Stadt eine Bombe hochgegangen war, dass da draußen Mörder mit C-4-Sprengstoff frei herumliefen und ein sechs Monate altes Baby vermisst wurde, ließ den ganzen Raum in betroffenes Schweigen verfallen.
»Scheiße«, seufzte Jacobi theatralisch. »Den Nachmittag können wir uns abschminken.«
11
»Lieutenant«, rief jemand vom anderen Ende des Büros, »Telefon für Sie – Chief Tracchio.«
»Was hab ich gesagt«, meinte Cappy grinsend.
Ich hob ab und machte mich schon mal darauf gefasst, einen Anschiss zu kassieren, weil ich den Tatort vorzeitig verlassen hatte. Tracchio war im Grunde nur ein hoch bezahlter Erbsen zähler. Das letzte Mal, dass er so hautnah mit einer Ermittlung zu tun gehabt hatte, musste vor fünfundzwanzig Jahren bei einer Fallanalyse auf der Polizeiakademie gewesen sein.
»Lindsay, ich bin's, Cindy.« Ich hatte natürlich mit dem Chef gerechnet und war überrascht, ihre Stimme zu hören. »Nicht sauer sein«,
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