Der 3. Grad
Ein klobiges Panzerfahrzeug, das aussah wie ein riesiger Kühlschrank, kam herangerollt. Ein Anblick, der nichts Gutes verhieß.
Der Spezialist mit dem Röntgenscanner richtete das Gerät aus einem Meter Abstand auf den Schulranzen. Ich war mir sicher, dass die Tasche einen scharfen Sprengsatz enthielt – oder dass der Täter sie zumindest absichtlich zurückgelassen hatte.
Bitte, lass sie nicht losgehen
, flehte ich.
»Holt sie in den Lkw.« Niko wandte sich mit ernster Miene um. »Das Ding sieht scharf aus.«
In den nächsten Minuten wurden Abdeckschürzen aus verstärktem Stahl vom Lastwagen geladen und als Schutzwall um die Tasche herum aufgestellt. Einer der Spezialisten näherte sich der Tasche mit einem fahrbaren Greifer. Falls wirklich eine Bombe darin war, konnte sie jede Sekunde losgehen.
Ich saß im Niemandsland fest und wagte nicht, mich zu rühren. Eine Schweißperle rann mir über die Wange.
Der Mann erfasste die Tasche mit dem Greifer und transportierte sie zu dem Panzerfahrzeug.
Nichts passierte.
»Ich habe keinen Messwert«, sagte der Mann mit dem Elektrosensor. »Wir müssen sie wohl von Hand aufmachen.«
Sie hoben den Ranzen in das Panzerfahrzeug, wo Niko ihn in Empfang nahm. Er kniete sich davor und öffnete mit ruhigen, sicheren Bewegungen den Reißverschluss.
»Da ist keine Sprengladung drin«, sagte Niko. »Es ist bloß ein verdammtes Radio.«
Ein kollektiver Seufzer der Erleichterung war zu vernehmen. Ich löste mich von den Umstehenden und lief hin. Am Riemen der Tasche hing ein Namensschild – einer dieser Plastikanhänger. Ich hob es an und las.
R UMMS ! I HR S CHWEINE .
Ich hatte Recht gehabt. Der Täter hatte die Tasche absichtlich zurückgelassen. Im Inneren fand sich neben einem gewöhnlichen Radiowecker noch ein gerahmtes Foto. Es war ein Computerausdruck einer Digitalaufnahme. Das Gesicht eines gut aussehenden Mannes um die vierzig.
Eine der verkohlten Leichen im Haus, da war ich mir sicher.
M ORTON L IGHTOWER , lautete die Aufschrift, E IN F EIND D ES VOLKES .
»D IE S TIMME D ES V OLKES S OLL G EHÖRT W ERDEN .«
Darunter ein gedruckter Name. A UGUST S PIES .
Gütiger Himmel, das war eine Hinrichtung!
Mein Magen verkrampfte sich.
7
Wir hatten ziemlich schnell alles über das Haus herausgefunden. Es gehörte tatsächlich dem Mann auf dem Bild, Morton Lightower, und seiner Familie. Der Name kam Jacobi bekannt vor. »Hat der nicht diese Firma gehabt – X/LSystems?«
»Keine Ahnung.« Ich schüttelte den Kopf.
»Na, du weißt schon – dieser Internet-Zampano. Hat sich mit rund sechshundert Millionen aus dem Staub gemacht, während die Firma den Bach runtergegangen ist. Die Aktien haben mal sechzig Dollar gekostet, jetzt stehen sie bei so was wie sechzig Cent.«
Plötzlich fiel mir ein, dass ich davon in den Nachrichten gehört hatte. »Der König des Raubtier-Kapitalismus.« Er hatte versucht, Baseballteams aufzukaufen, hatte feudale Villen gesammelt wie andere Leute Briefmarken und seine Residenz in Aspen mit einem 50000-Dollar-Sicherheitstor ausgestattet, während er zugleich seine eigenen Anteile verschleudert und die Hälfte seiner Belegschaft auf die Straße gesetzt hatte.
»Ich habe ja schon von erzürnten Reaktionen enttäuschter Investoren gehört«, meinte Jacobi kopfschüttelnd, »aber das geht doch ein bisschen zu weit.«
Hinter mir hörte ich eine Frau rufen, man solle sie durchlassen. Ich drehte mich um und sah, wie Inspector Paul Chin ihr einen Weg durch das Labyrinth von Übertragungswagen und Fernsehteams bahnte. Dann stand sie vor dem zerbombten Haus.
»O Gott!«, stöhnte sie und schlug die Hand vor den Mund.
Chin führte sie zu mir. »Lightowers Schwester«, sagte er.
Sie hatte die Haare straff zurückgebunden und trug einen Kaschmirpullover, Jeans und genau die gleichen Slipper von Manolo Blahnik, die ich schon mal zehn Minuten lang im Schaufenster von Neiman's angeschmachtet hatte.
»Kommen Sie«, sagte ich und geleitete die schwankende Frau zu einem offenen Streifenwagen. »Ich bin Lieutenant Boxer von der Mordkommission.«
»Dianne Aronoff«, murmelte sie abwesend. »Ich hab es in den Nachrichten gehört. Mort? Charlotte? Die Kinder... Ist überhaupt jemand lebend da rausgekommen?«
»Wir haben einen Jungen gerettet, ungefähr elf Jahre alt.«
»Eric«, sagte sie. »Geht es ihm gut?«
»Er liegt auf der Verbrennungsstation im Cal Pacific. Ich glaube, er wird bald wieder auf den Beinen sein.« »Gott sei Dank!«, rief sie. Doch
Weitere Kostenlose Bücher