Der 3. Grad
Football-Monturen. Eine Patchworkdecke, einst liebevoll bestickt, jetzt nur noch ein Staubfänger.
Und dann stieß sie auf den alten Aluminiumkasten, versteckt unter einer muffigen Decke.
Mein Gott
.
Ihr altes Cello. Claire lächelte, als sie an damals zurückdachte. Du liebe Zeit – es war zehn Jahre her, dass sie es zuletzt in Händen gehalten hatte.
Sie zog es mit einem Ruck heraus. Allein der Anblick ließ sie in Erinnerungen schwelgen: die vielen Stunden des Übens, all die Griffe und Tonleitern. Ihre Mutter, die stets gesagt hatte: »Ein Haus ohne Musik ist ein Haus ohne Leben.« Der vierzigste Geburtstag ihres Mannes Edmund, als sie sich durch den ersten Satz von Haydns Cellokonzert in D-Dur gekämpft hatte. An diesem Tag hatte sie zum letzten Mal gespielt.
Claire ließ die Verschlüsse aufschnappen und betrachtete das gemaserte Holz des Korpus. Es war immer noch ein wunderschönes Instrument; ein Geschenk des Fachbereichs Musik in Hampton anlässlich ihres Stipendiums. Bevor sie erkannt hatte, dass sie nie eine Yo-Yo Ma sein würde, und ihr Medizinstudium aufgenommen hatte, war es ihr kostbarster Besitz gewesen.
Eine Melodie kam ihr in den Sinn. Just diese eine schwierige Passage, die sie nie so recht gemeistert hatte. Aus dem ersten Satz des Haydn-Konzerts. Claire lugte um sich, es war ihr irgendwie peinlich. Ach, was soll's, dachte sie. Edmund schlief noch. Niemand würde sie hören.
Claire hob ihr Cello aus dem mit Filz ausgeschlagenen Kasten. Sie griff nach dem Bogen, hielt ihn andächtig in den Händen.
Wow
...
Eine gute Minute ging fürs Stimmen drauf; knarzend spannten sich die alten Saiten bis auf ihre gewohnten Tonhöhen. Ein einziger Strich mit dem Bogen über die leeren Saiten ließ un zählige Empfindungen in ihr aufsteigen. Sie bekam eine Gänsehaut, als sie die ersten Takte des Konzerts spielte. Es klang ein wenig schief, aber allmählich bekam sie wieder ein Gefühl für das Instrument. »Ha, das alte Mädchen hat's immer noch drauf«, murmelte sie lachend. Sie schloss die Augen und spielte weiter.
Und dann bemerkte sie Edmund, der im Pyjama am Fuß der Treppe stand und sie staunend ansah. »Ich weiß, dass ich nicht mehr im Bett liege« – er kratzte sich am Kopf –, »ich erinnere mich daran, dass ich meine Brille aufgesetzt und mir sogar schon die Zähne geputzt habe. Aber es kann einfach nicht sein, weil ich ganz offensichtlich träume.«
Edmund summte die Eröffnungstakte, die Claire gerade gespielt hatte. »Und, denkst du, dass du die nächste Passage hinkriegst? Das ist nämlich der knifflige Teil.«
»Ist das eine Herausforderung, Maestro Washburn?« Edmund lächelte verschmitzt.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Edmund hob das schnurlose Telefon im Treppenhaus ab. »Da bist du gerade noch mal davongekommen«, grummelte er. »Es ist das Institut. Am Sonntagmorgen, Claire. Können die dich denn
nie
in Ruhe lassen?«
Claire nahm das Telefon. Es war Freddie Rodriguez, ein Mitarbeiter der Gerichtsmedizin. Claire hörte eine Weile zu und legte dann auf.
»Mein Gott, Edmund... in der Stadt hat es eine Explosion gegeben. Lindsay ist verletzt.«
6
Ich weiß nicht, was da plötzlich in mich gefahren ist. Vielleicht war es der Gedanke an die drei getöteten Menschen im Haus oder die Scharen von Cops und Feuerwehrleuten am Ort der Unglücks. Ich starrte den Ranzen an, und mein Instinkt sagte mir laut und deutlich, dass etwas daran faul war – oberfaul. »Alles zurücktreten!«, schrie ich noch einmal.
Ich ging auf die Tasche zu. Noch wusste ich nicht, was ich tun würde, aber die Umgebung musste unbedingt geräumt werden.
»Nix da, Lindsay.« Jacobi packte meinen Arm. »Das ist nicht dein Job.«
Ich riss mich von ihm los. »Schaff sie alle weg von hier, Warren.«
»Ich stehe zwar im Dienstgrad unter dir, Lindsay«, sagte Jacobi, jetzt schon leicht erregt, »aber ich habe vierzehn Jahre mehr Diensterfahrung. Ich sage dir, lass die Finger von der Tasche.«
Der Feuerwehrhauptmann kam auf uns zugelaufen. »Verdächtiges Objekt, möglicherweise Sprengsatz«, bellte er in sein Funkgerät. »Schaffen Sie die Leute aus der Gefahrenzone und schicken Sie Magitakos vom Sprengkommando her.«
Keine Minute später drängte sich Niko Magitakos, der Leiter des städtischen Sprengkommandos, zusammen mit zweien seiner Profis an mir vorbei. Mit ihrer schweren Schutzkleidung näherten sie sich der roten Schultasche. Niko holte ein kastenförmiges Gerät hervor, einen Röntgenscanner.
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