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Der 50-50 Killer

Der 50-50 Killer

Titel: Der 50-50 Killer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Mosby
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vorher.
    Auch Lise war geschwommen. Wir waren zu diesem Zeitpunkt immer noch sehr nah beieinander. Ich sah sie an, und auf ihrem Gesicht spiegelte sich meine eigene Panik. Das gab mir den Rest – ich hatte sie noch nie in Angst gesehen, normalerweise war sie immer ruhig und gefasst.
    Schrei, sagte sie sehr ernst.
    Wir haben um Hilfe gerufen, aber es war niemand am Strand.
    Ich hatte niemals im Leben um Hilfe gerufen, und es klang lächerlich und unangebracht – aber ich schrie. Ich schrie so laut ich konnte, immer wieder. Im Geräusch der Wellen hörte ich sie das Gleiche tun.
    Mitten im Rufen und Schwimmen krachte eine Welle auf meinen Rücken herunter und presste mich unter Wasser. Meine Lunge füllte sich mit Wasser, ich hustete und würgte, als ich wieder hochkam, und meine Augen brannten. Die Welt um mich herum war plötzlich nur noch ein verschwommener, verschmierter Fleck. Lise war jetzt weiter weg, wie ein nebelhafter Farbklecks. In meinem Kopf sah ich dunkle Wasserwände sich um sie herum auftürmen, und sie nahmen sie mir weg.
    Wir mussten also schwimmen.
    Ich schwamm wieder los, strampelte weiter, so heftig ich konnte, blind bis auf die Momente, wenn der Himmel aufblitzte. Aber ich war zu sehr in Panik geraten, um die Kontrolle zu behalten, und das Meer drückte mich immer wieder unter Wasser. Ich begriff, dass ich sterben würde, und ich hatte noch nie eine solche existenzielle Angst verspürt. Im Kampf gegen die Wogen überanstrengte ich meine Arme so sehr, dass die Muskeln anfingen, sich zu verkrampfen. Mental war ich gar nicht mehr da: nur ein Tier mit dem Tod vor Augen, das verzweifelt kämpft, um ihm zu entrinnen. Ich dachte nicht an Lise. In diesem Moment war mir tatsächlich nur ich selbst wichtig.
    Im Grunde war es so, dass ich es ans Ufer geschafft habe und sie nicht.
    Nach nur einer Minute, wenn überhaupt, wankte ich zum Strand hinauf. Ich trug nur Shorts, fühlte mich aber, als sei ich in voller Bekleidung geschwommen. Meine Arme und Beine schienen mit Wasser vollgesogen, schwer und müde. Im Sand fiel ich sofort nach vorn auf Knie und Ellbogen. Ich würgte und spuckte Wasser aus und schnappte dazwischen nach Luft.
    Nachdem ich wieder atmen konnte, zwang ich mich aufzustehen, drehte mich um, schaute auf die See hinaus und rief nach ihr.
    Niemand hätte etwas tun können.
    Die Beerdigung. Freunde, Kollegen, meine und ihre Eltern. Das Meer gab Lises Leiche nie wieder frei, und so standen diese Menschen alle um ein Fleckchen Erde herum, das nie wirklich ein Grab genannt werden konnte. Der Schal ihrer Mutter flatterte in der leichten Brise, und sie sagte zu mir: »Es gibt nichts, was du hättest tun können, Mark.«
    Ich fing an zu weinen, als sie das sagte, nahm es jedoch trotzdem an, und in diesem Satz verdichtete sich das Bild von mir, an dem ich festhielt und das ich den Leuten zeigte. Genauso wie jemand, der das Foto von Jodie sah, lächeln und etwas Nettes sagen würde, nickten die Leute mitfühlend, wenn sie mir zuhörten. Man hätte nichts tun können, das war traurig, aber alles stand im Einklang mit der Welt. Sie würden nicht unter der Oberfläche nach der Wahrheit suchen.
    Aber Scott konnte ich dieses Bild nicht einfach so vorlegen. Wenn ich seine Geheimnisse erfahren wollte, musste ich bereit sein, ihm meine zu zeigen.
     
    »Ich stand am Strand«, sagte ich. »Und habe Ausschau nach ihr gehalten, habe versucht, sie zu sehen. Habe laut ihren Namen geschrien. Und da war sie plötzlich.«
    Ich hatte sie draußen im Wasser erspäht, wahrscheinlich etwa fünfzig Meter vom Ufer entfernt. Nur durch Glück und blinden Zufall war ich der Strömung entgangen, in der Lise kaum vorwärtsgekommen war.
    »Sie hat etwas gerufen, aber ich konnte es nicht verstehen. Ich weiß nicht, ob sie mich überhaupt gesehen hat. Vielleicht hat sie einfach nur geschrien.«
    Aber ich sah sie. Ich sah den Ausdruck von Schrecken, Panik und Schmerz auf ihrem Gesicht.
    Zumindest hatte sich Scott jetzt wieder umgedreht und sah mich an. Er hatte auch aufgehört zu weinen, obwohl der sichtbare Teil seines Gesichts rot und geschwollen war und im Licht glänzte. Ich war nicht so naiv, zu glauben, dass ich durch das Erzählen dieser Geschichte einen Schalter umlegen und alles in Ordnung bringen könnte, aber wenigstens sah er mich an. Hörte mir zu. Zumindest hatte ich ihn so lange zurückgewonnen, wie ich ihn würde halten können.
    »Ich bin wieder ins Wasser gegangen«, sagte ich. »Aber nur bis zu den Knien. Ich habe

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