Der 7. Lehrling (German Edition)
Mitternacht. Samuel hatte in der Küche Bescheid geben lassen, dass es spät werden könnte. Völlig selbstverständlich hatte der Koch ausrichten lassen, dass es ihm gleich war, wann die
Vierzehn
zum Abendessen erschienen, sie würden auf jeden Fall etwas frisch zubereitet bekommen. Bevor nicht jeder wusste, dass die fünf Sucher der
4-Uhr-Speiche
gewarnt waren, würde heute ohnehin niemand schlafen gehen.
Gegen zwei Uhr trafen die
Vierzehn
zusammen mit Korbinian, Samuel und Linnea im Speisesaal ein. „Es ist geschafft, wir haben alle fünf erreicht“, verkündete Korbinian über die versammelte Menge hinweg. Es waren tatsächlich alle noch anwesend – auch wenn der eine oder andere mit dem Kopf auf den Armen bereits ein kleines Nickerchen machte.
Der Koch klatschte in die Hände. „Wohlan! Ich hätte zu bieten: eine kräftige Rinderbrühe zum Warmwerden, einen gemischten Salat mit ein paar angebratenen Pfifferlingen, danach frisch gefangene Forellen an grünen Bohnen mit Weißweinsoße und neuen Kartoffeln sowie zum Dessert eine kleine Auswahl an Käse. Wie wär's?“
Der Applaus der Neuankömmlinge aus der Bibliothek war eine eindeutige Antwort. Auch wenn nach dem Essen nur noch wenige Stunden zum Schlafen blieben – es hatten alle nach dem Mittagessen nichts mehr zu sich genommen, und der Hunger war entsprechend groß. Außerdem: Wer hätte bei einem solchen Angebot schon nein sagen können?
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Es war Donnerstagmorgen. Falk, Quentin und Medard arbeiteten, waren aber mit ihren Gedanken nicht wirklich bei der Sache. Seit Medard am Montag zum ersten Mal über die heranziehenden
Horden
erzählt hatte, waren noch viele andere Flüchtlinge in die Stadt gekommen. Balsberg rüstete sich zum Widerstand, nicht jedoch die Müllersfamilie und Medards Angehörige. Sie würden fliehen.
Bereits seit Dienstagabend stand der Wagen gepackt im kleinen Schuppen neben der Mühle. Finja hatte die Geldstücke, die sie besaßen, in einen Lederbeutel eingenäht und unter dem Mühlrad im Wasser versenkt – dort würde sicher niemand suchen. Proviant, Kleidung, etwas Ausrüstung wie Beil, Angel, Seile und so weiter, eine große Zeltplane und ein paar Decken waren die wichtigsten Sachen, die auf dem Wagen zu finden waren. Natürlich auch die Teller aus Porzellan, die Finja zur Hochzeit von ihren Eltern geschenkt bekommen hatte. Wasserschläuche hingen zum Füllen bereit an der Hintertür der Mühle. Alles war für die sofortige Flucht vorbereitet. Und allen war die Anspannung deutlich anzumerken.
Quentin war in den vergangenen Tagen immer wieder auf dem Marktplatz gewesen. Er erfragte dort bei den neu ankommenden Flüchtlingen die letzten Neuigkeiten. Ihre Flucht sollte so spät und so heimlich wie möglich stattfinden. Niemand sollte sie verraten können, wenn die
Horden
die Stadt einnahmen und sich mit Verhörmethoden, denen niemand lange standhalten konnte, nach Handwerkern erkundigten – es hatte sich schnell herumgesprochen, wen die unbekannten Plünderer vorzugsweise verschleppten. Deshalb musste Quentin so genau wie möglich herausfinden, wo die
Horden
zurzeit waren.
Die sichersten Informationen bekam Quentin immer dann, wenn jemandem mit einem Pferd die Flucht gelungen war. Reiter waren am schnellsten und damit die Nachrichten am frischsten.
Das Dorf, aus dem Medards Verwandte kamen, war am Dienstag von den
Horden
überrannt worden. Es hatte keinen Widerstand gegeben, allerdings waren auch fast alle Bewohner in die umliegenden Wälder oder in die nächstgrößeren Orte geflohen. Zwar wurde niemand erschlagen, aber die Fremden hatten das Dorf ausgeraubt und dem Erdboden gleichgemacht.
Die Stimmung auf dem Markt wurde jeden Tag gereizter, Vorratsgeschäfte wurden leergekauft, die Menschen trauten sich gegenseitig kaum noch über den Weg. Die Angst hing wie eine zähe, giftige Decke über der ganzen Stadt.
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Die Sucher der
4-Uhr-Speiche
nördlich von Adina waren überaus vorsichtig. Einer nach dem anderen stieß auf die Spur der Zerstörung, die die
Horden
hinter sich ließen. Ein Dorf nach dem anderen war gefallen, die fremden Krieger zogen unaufhaltsam nach Norden weiter.
Wer sich so wie Adina im Rücken der
Horden
befand, konnte weiterziehen, die anderen verharrten nahezu unsichtbar auf der Stelle, richteten sich ein Versteck mit Sicht auf die Verbindungsstraße zwischen Alm und Balsberg ein und warteten.
Es waren anstrengende Tage für Amina. Zu den Suchern, die am nächsten an den
Horden
waren,
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