Der 7. Lehrling (German Edition)
sie fanden zum Glück keine Erschlagenen, was ihnen ein wenig Hoffnung gab, die Fährleute wären dem Überfall irgendwie entkommen.
Die Fähre trieb an ihrem quer über den Fluss gespannten Seil in der Mitte der Strömung. Es würde ihre ganz persönliche Herausforderung werden, sie zu diesem Ufer zurückzuholen.
Erste Kontakte und schwierige Entscheidungen
Amina war wie immer nach dem Frühstück bei Linnea. Sie hatte sich angewöhnt, ein paar Leckereien für ihre Lehrmeisterin mitzubringen. Der Tee stand wie gewöhnlich auf dem Tisch, und beide saßen – Linnea kauend – beieinander. Linnea trank einen Schluck Tee, schluckte und fragte dann unvermittelt: „Hast Du Korbinian heute schon gesehen?“
„Ja. Er war wie immer sehr früh auf. Beim Frühstück haben wir ein paar Worte gewechselt.“
„Gut. Ich wollte ihn nur nicht wecken mit dem, was heute auf dem Programm steht.“
Amina sah sie fragend an.
„Nun“, erläuterte Linnea, „Du wirst heute mit dem einen oder anderen in Kontakt treten.“
Endlich! Endlich war es so weit! Ihre Lehrmeisterin hielt sie für fähig, das
Zweite Gesicht
ohne Schaden für sich selbst anzuwenden. Wie lange hatte sie von Milan nichts gehört! „Milan? Kann ich mit Milan anfangen?“
„Nein, sicher nicht“, war die ernüchternde Antwort. „Wir werden in Deiner unmittelbaren Nähe beginnen. Mit mir.“
„Mit Dir? Aber Dich kann ich doch sehen!“ Amina war verwirrt.
„Ja. Solange Du die Augen offen hast“, war die trockene Antwort.
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Es war einfach. Amina stellte sich die Hütte vor und darin Linnea auf ihrem Sessel. Wie damals bei Milan war ihr Gegenüber zuerst ein wenig undeutlich zu sehen.
Linnea spürte die Kontaktaufnahme sofort.
Unglaublich!
, dachte sie einmal mehr, bevor sie dem Gefühl nachgab und im Geist mit Amina Kontakt aufnahm.
Strengt es Dich an?
Nein, ich fühle mich gut.
Das ist gut so. Du wirst jetzt Deine Kraft so weit verringern, dass Du mich gerade noch halten kannst.
In Ordnung. Ich versuch's.
Das Bild von Linnea, das vorher hell und klar war, fing an zu verblassen.
Nicht ... viel! Lass ... Kontakt nicht abreißen. Versuch, ... Gefühl für die Grenze zu finden. Ja. So ist es besser. Merk Dir das Gefühl. Gut so. Und jetzt brich den Kontakt ab.
„Wie geht es Dir? Wie war es?“, fragte Linnea besorgt, als Amina die Augen aufschlug.
„Alles in Ordnung. Am Schluss war es wie ein Pendel. Ein bisschen unscharf, dann wieder scharf, dann wieder unscharf.“
„Genau das ist die Grenze. Wenn Du mehr Energie aufwendest, wirst Du nur selbst schwach. Es ist das Gleiche, wie einen Stuhl im Raum schweben zu lassen – oder ihn an der Zimmerdecke in Einzelteile zu zerstückeln“, fügte sie mit einem Lächeln hinzu. „Du hast ein sehr gutes Gefühl für die Kontaktaufnahme, das muss ich Dir lassen. Komm, einen Schluck Tee, und dann geht es weiter.“
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Korbinian hörte, dass er gerufen wurde. Er öffnete die Tür seines Kontors und schaute hinaus auf den Gang. Niemand. Da ertönte der Ruf erneut:
Korbinian!
Das konnte nicht sein! War Amina schon so weit? Linnea hatte ihm zwar begeistert von den riesigen Fortschritten erzählt, die das Mädchen machte. Aber so schnell? Und so gut?
Rasch setzte er sich in einen Sessel und schloss die Augen. Sofort sah er Amina vor sich in einem nebeligen Etwas stehen.
Wer hat nach mir gerufen?
Ich bin's, Amina. Wir machen heute Übungen zur Kontaktaufnahme. Du bist schon meine zweite Übungsperson! Ach ja, Linnea sagt, ich soll Dich herbitten. Sie möchte etwas mit Dir besprechen.
Jetzt gleich?
Ja, wenn es Dir passt, jetzt gleich. Linnea sagt, der Tee ist fast fertig.
Dann will ich mich sogleich auf den Weg machen.
Das Bild von Amina wurde plötzlich unscharf, war aber nach einem kurzen Moment wieder klar, sodass Korbinian Gelegenheit hatte nachzufragen.
Und Du? Geht es Dir gut? Strengst Du Dich auch nicht zu sehr an?
Es ist alles in Ordnung, wirklich. Ich breche die Verbindung jetzt ab. Bis gleich!
„Wie war es diesmal? Hast Du meinen Rat befolgt?“, fragte Linnea.
„Es ging besser. Du hattest recht: Es kostet weniger Kraft, wenn man sich nur die Person und nicht noch dazu eine Umgebung vorstellt. Aber das Pendeln war nach wie vor da. Einmal hätte ich ihn fast verloren. Es ist ziemlich schwierig, den Kontakt auf der Grenze aufrechtzuerhalten.“
„Das ist nicht schlimm. Niemand verlangt, dass Du alles sofort kannst. Hier, trink einen Schluck“, sagte die alte Hexe
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