Der 7. Lehrling (German Edition)
schrie fast. „Ich finde den Weg allein!“
„Dessen bin ich sicher. Aber ich bin gut erzogen, ich werde Euch zur Tür begleiten.“ Falk klang gefährlich ruhig. Er war etwa einen Kopf größer als der Fremde. Der angebliche Bader wusste, dass er keine Chance hatte. Also hob er fluchend seinen Umhang vom Boden, riss die Tür auf und verließ das Haus.
Falk verriegelte die Tür hinter dem Fremden und beobachtete durch das Türfenster, ob er auch wirklich das Grundstück verließ.
Leise drückte Falk die Küchentür ins Schloss. Quentin wusch gerade mit zitternden Händen den Becher des Fremden ab. Er hatte Angst vor dem, was jetzt kommen würde. Langsam drehte er sich zu Falk um und sah forschend in dessen Gesicht. Es war wie versteinert.
„Setz Dich. Wir haben zu reden.“
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Falk war verwirrt. In ihm kämpfte das Vertrauen zu Finja gegen den Zweifel, ob ihre Geschichte nicht doch dem Fieber entsprungen war. Aber sie hatte ihm noch niemals die Unwahrheit gesagt, und ihr Bitten war so flehentlich gewesen, dass er schließlich nicht anders konnte. Sein Vertrauen hatte über den Verstand gesiegt, der vor sich nur seine von einer schweren Krankheit heimgesuchte geliebte Frau sah. Er hatte Angst, vielleicht doch die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Dieser unscheinbare Junge, den er in die Lehre genommen hatte, würde nun die richtigen Antworten auf seine Fragen geben müssen. Alles andere würde er sich niemals verzeihen. Er würde nicht lange um den heißen Brei herumreden, das war noch nie seine Sache gewesen. Er brauchte nur einen Beweis und überlegte, wie Quentin ihm diesen Beweis liefern konnte.
Quentin saß Falk gegenüber am Küchentisch. Er betrachtete nervös seine Hände. Er schwitzte. Er hatte keine Ahnung, was Falk von ihm wissen wollte. Er konnte ihm nur alles erzählen, was er Finja erzählt hatte, und hoffen, dass Falk ihm glauben würde.
Minutenlang saßen sie so da und schwiegen. Dann schien Falk etwas eingefallen zu sein. Er knöpfte die oberen beiden Knöpfe seines Hemdes auf und holte an einem Lederband einen kleinen Gegenstand hervor. Es war die kleine goldene Nachahmung eines Hohlmaßes, mit dem man für gewöhnlich Getreide abmaß. Fast wie ein kleines Rohr, das an einem Ende verschlossen war und einen geraden Griff hatte, am anderen Ende schräg abgeschnitten war. Wenn jemand auf dem Markt Getreide kaufte, um es zuhause selbst zu mahlen, dann verlangte er soundso viele „Schaufeln“. Ein Sack Getreide musste eine bestimmte Anzahl „Schaufeln“ enthalten. Das Maß war in allen Teilen des Landes gleich groß, sodass man auf jedem Markt die gleiche Menge bekam. Ein Muster dafür befand sich in jedem Ort, in dem ein Markt stattfinden durfte. Festgekettet an der Hauswand des Rathauses hing es zusammen mit den Maßen für den Durchmesser eines Brotlaibes, einer Elle, die für das Abmessen von Stoff benutzt wurde, und dem Muster eines Gewichtes für ein Pfund. Auch in der Mühle hing eine solche Schaufel, um von Zeit zu Zeit die Getreidemengen in den Kornsäcken nachzumessen.
Falk streifte sich das Lederband über den Kopf und legte die kleine Schaufel auf den Tisch. Dann sah er Quentin erwartungsvoll an.
„Finja hat mir vorhin eine Menge Dinge erzählt, die einiges von dem auf den Kopf stellen, woran ich bisher geglaubt habe. Quentin, ich vertraue Finja voll und ganz. Nur deshalb habe ich vorhin den Fremden hinausgeworfen. Und Finja scheint Dir völlig zu vertrauen. Ich mag Dich auch sehr gern, aber ich bin etwas verwirrt. Ehrlich gesagt, es will mir nicht in den Kopf, wie man Dinge über einen Menschen erfahren will, indem man einfach dessen Sachen berührt. Finja scheint damit ein wenig mehr Erfahrung zu haben ... Sie sagt, ihre Mutter sei eine ... eine Hexe gewesen. Und sie sagt, Du seist so ähnlich. Also wohl so etwas wie ... wie ein Zauberer.“ Falk schüttelte den Kopf. „Quentin, ich bin mir nicht so ganz sicher, was ich glauben oder nicht glauben soll. Solche Sachen waren für mich bisher Dinge, mit denen man kleine Kinder erschreckt. Aber vielleicht kannst Du mir helfen, das zu verstehen. Ich möchte einfach Gewissheit darüber, ob ich vorhin richtig gehandelt habe. Nicht, dass es am Ende doch nur ein Fiebertraum von Finja war. Und ich möchte wissen, wer – oder vielmehr
was
Du bist.“
Er schob den Anhänger auf Quentin zu. „Du hast diesen Anhänger noch nie gesehen, oder?“ Quentin schüttelte den Kopf. Jetzt wusste er, was kommen
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