Der 7. Rabe (German Edition)
sein. Ihm war klar, dass Randyn sich mit Selbstvorwürfen zerfleischen musste, dabei war es nicht seine Schuld, dass die Boten nicht bis zur Akademie durchgekommen waren. Oder dass Raj auf der falschen Seite der Grenze gelandet war.
„Warum haltet ihr ihn hier angekettet wie eine wilde Bestie?“, fragte Risser vorwurfsvoll. „Er ist schwer verletzt!“
„Er hat zwei Mal versucht zu fliehen. Wir mussten ihn einsperren und sicherstellen, dass er es nicht noch einmal versuchen kann.“ Das war Farres. Er klang nervös. Randyn hatte derweil Raj dazu gezwungen, sich aufzusetzen und ihn einer kurzen Inspektion unterzogen.
„Und die Markierung?“, fauchte Risser. „Raj hat niemandem ein Leid zugefügt, warum tut ihr ihm das alles an?“
„Es dient seinem Schutz.“ Farouche. War die ganze Welt gekommen, um ihn in diesem Loch zu begaffen?
„Gefangene in diesen Verliesen sind Freiwild. Euer süßes kleines Brüderchen wäre längst zu Hackfleisch verarbeitet worden, wäre er nicht der persönliche Besitz meines Betas.“
Selbst in seinem umnebelten Zustand hörte Raj den lüsternen Unterton bei dem Wort „Hackfleisch“, genauso wie die harte Betonung von „Beta“.
Er brauchte all seine Kraft, um nicht vor Schmerz zu schreien, als Randyn ihn ruckartig zu sich heranzog und fest umarmte.
„Wenn du ihn sogar schützen willst, Farres, warum willst du ihn dann behalten? Warum genügt dir das Angebot meines Vaters nicht?“, fragte er anklagend. Er ließ etwas lockerer, als Raj zu wimmern begann und streichelte ihm begütigend über das von Schweiß und Dreck verklebte Haar. Ihn schien es überhaupt nicht zu stören, in welch abstoßendem Zustand Raj war …
„Ich will Rache für meine Schwester. Rache für meinen verkrüppelten Fuß. Rache für all das Blut meines Volkes, das sinnlos in der Erde versickert ist“, zischte Farres hasserfüllt.
„Farres …“ Randyn bettete Raj vorsichtig zu Boden und warf sich dem jungen Wolf zu Füßen.
„Ich kann die Toten nicht lebendig machen. Niemand kann das. Aber durch Rache wird nur noch mehr Blut fließen. Dieser Krieg ist es, was sinnlos ist!“
Farouche lachte schallend, als wäre das alles ein köstlicher Witz.
„Sieh sie dir an, Bruder! Drei Raben in unserem Verlies und alle rutschen auf den Knien vor uns. Ist das nicht wundervoll?“
Raj musste hilflos mit ansehen, wie Farouche seine beiden Brüder packte und hinaus in den Gang stieß.
„Schert euch nach Hause und kriecht eurer Mama unter die Röcke! Wir Wölfe haben den Krieg nicht begonnen, ihr seid es, die unser Land gestohlen haben! Wir werden erst Frieden schließen, wenn der letzte Rabe verreckt ist. Euer Hühnchen bleibt hier, bis Farres mit ihm fertig ist. Sollte genug übrig bleiben, schicken wir euch natürlich gerne die Überreste.“
Die Tür schlug zu und schnitt die Protestschreie seiner Brüder ab.
Raj war wieder allein. Allein mit der Dunkelheit, die ihn sofort ansprang, in ihn hineinkroch, ihn zu verschlingen drohte …
6.
„Wach auf.“
Raj zuckte, als ihn jemand sanft am Kopf berührte.
Farres war bei ihm. Anscheinend war er tatsächlich tief genug eingeschlafen, um die Tür zu überhören. Das erste Mal seit der Ewigkeit, die seit dem Besuch seiner Brüder vergangen war. Falls er das nicht bloß geträumt hatte …
„Du musst mir jetzt vertrauen, Kleiner“, flüsterte Farres und löste die Eisenschellen. „Auch, wenn es dir schwer fällt.“
Verwirrt ließ Raj alles geschehen. Der Wolf hatte ihm schon mehrmals die Halsfessel abgenommen, um besser an seine Rückenwunden gelangen zu können, aber noch nie den Arm befreit. Sofort brach er zusammen, Raj hatte nicht die Kraft, sich abzustützen. Die unmenschlichen Schmerzlaute, die ihm dadurch abgerungen wurden, erschreckten ihn. Zumindest jenen winzigen Teil seines Ichs, das nicht vollständig erstarrt und von der Dunkelheit gelähmt war.
„Komm her, ich helfe dir.“ Er wurde vorsichtig hochgezogen und gedreht, ein Becher drückte sich an seine Lippen. Sollte er mit Gift erlöst werden? Ein beruhigender Gedanke. Gierig trank Raj, obwohl es enttäuschend nach klarem, frischem Wasser schmeckte. Seine linke Schulter stand in Flammen, da er sie endlose Tage und Nächte nicht richtig bewegen konnte. Es interessierte ihn nicht wirklich. An Farres warmen, geschmeidigen Körper geschmiegt dazuliegen war friedlich. So würde er gerne sterben …
„Verwandle dich, Raj.“
Wozu? , dachte er matt. Diskutieren wollte er
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