Der 7. Rabe (German Edition)
beeilen. Federn sprossen auf seiner Haut, sein Knochenbau und seine Schädelform veränderten sich. Er schrumpfte … wurde noch kleiner … Die Verwandlung ging heute lediglich schleppend voran. Schon vorhin hatte er sich richtig anstrengen müssen. Er war einfach nicht bei Kräften und das schaurige Heulen lenkte ihn ab. Seine Flucht musste demnach entdeckt worden sein. Raj breitete die Flügel aus und versuchte auf den kleinen Tisch zu fliegen, der vor dem Fenster stand. Rotbrennender Schmerz jagte durch seinen gesamten Rücken und auch in den Nacken hinein. Beinahe hätte er selbst wie ein Wolf gejault. Unmöglich, mit diesem Flügel irgendetwas anfangen zu wollen. Außerdem hörte er bereits das Tapsen riesiger Pfoten, die die Stufen des Turms erklommen. Raj suchte verzweifelt nach einem Versteck. Vielleicht glaubte sein Häscher, dass ihm die Flucht gelungen war. Schnell stellte er fest, dass es keine Möglichkeit gab, um sich zu verstecken. Unter dem Tisch würde man ihn sofort finden und anderes Mobiliar gab es in dieser Kammer nicht. Er hüpfte daher hinter die Tür und presste sich dort an die Wand.
Ein Wolf jagte in das Zimmer hinein, bremste schlitternd auf den Hinterläufen und sprang im nächsten Moment mit einem Satz auf den Tisch. Raj konnte beobachten, wie er dabei mit einer verstümmelten Pfote wegknickte. Farres! Er duckte sich, als der Wolf hinausspähte, versuchte mit der Wand und den Schatten zu verschmelzen. Als hätte der Wolf seine Gedanken gehört, fuhr er abrupt herum. Zielsicher fanden ihn die grünlichen Augen. Raj sank noch weiter in sich zusammen. Wieder entdeckt! Wieder war eine Flucht verhindert. Und wieder würde es dafür harte Sanktionen geben. Diese verdammten Wolfsnasen! Mit Gnade brauchte er gar nicht erst rechnen. Farres schien vor Wut regelrecht zu sprühen. Im Bruchteil einer Sekunde verwandelte er sich.
„Verdammt nochmal, Raj! Das wird dir wirklich leidtun.“
6.
Heute war er nicht allein. Risser hatte ihn begleitet. Eigentlich hatten alle mitgehen wollen, aber mehr als zwei Raben würde der Schlächter für eine Verhandlung nicht zulassen. Rakden schied als Thronfolger aus. Er fügte sich murrend in das Unvermeidliche und blieb in Zwanzig Türme zurück. Die anderen zogen Lose und Risser war der glückliche Sieger. Rayskel, Ris’tan und Rynalph hatten sie noch bis zur derzeitigen Grenze gebracht und versprachen, hier auf sie zu warten, bis sie mit Raj zurückkehrten. Das Lösegeld, das ihr Vater zu zahlen bereit war, war beachtlich. Aber er hatte auch unter dem Druck ihrer Mutter gestanden, die ihr kleines Küken wiederhaben wollte und jedem die Augen auszuhacken drohte, der dies verhindern könnte.
Jetzt schritten sie durch die dämmrigen Gänge der Canisfeste, flankiert von zwei grimmigen Wölfen, bis sie den Raum erreichten, in dem sie bereits vor drei Tagen verhandelt hatten. Farouche und Rajs Besitzer warteten schon, wobei die Miene des Schlächters außerordentlich finster war.
„Wo ist Raj?“, fragte Randyn statt einer Begrüßung.
„Er wird hier nicht gebraucht“, erklärte Farouche knapp.
„Wir … wir bringen ein Angebot unseres Vaters und die demütige Bitte unserer ganzen Familie, uns Raj im Gegenzug auszuhändigen“, sagte Risser, dessen Blick an dem Leitwolf hing. Randyn konnte sein Starren gut verstehen. Farouche war männliche Schönheit pur. Schade nur, dass anstelle seines Herzens ein schwarzer, schleimiger Brocken in seiner Brust schlug. Er wünschte dem Kerl nicht bloß die Pest an den Hals.
„Ich will Raj sehen“, unterbrach er seinen Bruder.
„Und ich sage, dass er hier nicht benötigt wird, Federwisch.“
Irgendetwas war faul. Farres wirkte nervös und zornig. Nicht so besitzergreifend wie noch beim letzten Zusammentreffen. Angst stieg in Randyn hoch.
„Ihr habt ihn umgebracht!“, schrie er und wollte sich schon mit geballten Fäusten auf die beiden Wölfe werfen, hätte ihn nicht Risser am Kragen zurückgehalten.
„Was geht hier vor?“, fragte sein Bruder.
„Sag deinem Küken, es soll sich beherrschen, ehe ich meine guten Manieren vergesse und seine zerbrochenen Knochen in die Abfallgruben werfe. Das Hühnchen lebt. Mein Wort darauf.“
„Stimmt das?“, wandte sich Risser direkt an Farres. Der nickte knapp, wich allerdings seinem Blick aus.
„Was habt ihr ihm angetan?“, flüsterte Randyn, der Kälte seinen Rücken hinabkriechen spürte.
„Wir bieten euch ein prinzenwürdiges Lösegeld für Raj an“
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