Der 7. Rabe (German Edition)
verlassen. Schwächlinge haben dort keinen Platz!“
Raj schüttelte bloß den Kopf. „Das war nicht immer so, oder? An der Akademie gibt es viele Schriften von berühmten Wolfswandler-Heilern und Geschichten darüber, dass ein Rudel sich stets um die Seinen kümmert.“
Solch einen Heiler wünschte er sich gerade herbei, denn wenn die eitrigen Stellen nicht bald anständig gereinigt wurden, zweifelte er daran, mit Farres zusammen die Akademie erreichen zu können.
Der Wolf schnaubte verächtlich. „Geschichten. Legenden. Kinderkram! Glaub nicht jeden Unfug, nur weil er auf Pergament gekritzelt wurde!“
„Du willst an die Legende von einer Karte glauben, die noch nicht einmal auf Pergament gekritzelt, sondern lediglich von irgendwem mal erzählt wurde, als du noch ein Welpe warst!“, zischte Raj wütend zurück.
Farres setzte zu einer noch schärferen Erwiderung an, verharrte im letzten Moment und ließ den Kopf hängen. Er war beinahe grau im Gesicht vor Erschöpfung und Schmerz und Raj tat es leid, ihn angefahren zu haben.
„Man sagt, dass es früher wirklich anders war. Bis zu dem Tag, an dem die Raben über uns herfielen und ohne jeden Grund von unserem Land vertrieben“, flüsterte Farres, ohne ihn anzusehen. „Wir mussten lernen, dass nur die Stärksten das Recht zum Leben haben, als unsere Jagdgründe so beschnitten wurden, dass es kaum reichte, über den Winter zu kommen. Dein Volk hat das Schlechteste in uns geweckt, Raj … Vor drei Jahren ist es dann mit dem Mord an meiner Schwester eskaliert.“
Am liebsten hätte Raj es geleugnet. Ihn angeschrien, dass die Raben schuldlos waren und die Wölfe die Schlächter. Doch er kannte die Geschichten zu genau, als sein Volk sich zusammengeschlossen hatte, um die Wölfe aus dem angestammten Gebiet der Raben zu vertreiben, das sie für die Jagd brauchten, um nicht zu verhungern.
„Kann es sein, dass Hunger und Dürre es waren, die das Schlechteste in unseren beiden Rassen geweckt hat?“, fragte er nachdenklich.
„Das kann nicht alles sein. Die Winter sind milder geworden, Hunger müssen wir schon lange nicht mehr leiden.“ Farres schüttelte den Kopf. „Lassen wir das, ich bin kein Gelehrter wie du, der sich den Kopf über das Wieso und Vielleicht zerbrechen will.“
Raj lachte müde. „Ich bin auch kein Gelehrter, nicht vom Herzen her. Mein Vater hat mich gezwungen, auf die Akademie zu gehen. Lieber wäre ich ein Krieger wie meine Brüder geworden, aber er meinte, wer andauernd Widerworte gibt wie ich, taugt nicht dazu.“
„Womit er nicht ganz Unrecht hat, oder?“ Farres Grinsen war wohltuend. Es war seltsam, friedlich beisammen zu sitzen und zu plaudern. Fast, als wären sie keine Feinde, sondern … Ja, was?
Schicksalsgefährten, dachte Raj. Ja, das war das richtige Wort. Sie hatten sich verbündet, wenn auch nicht ganz freiwillig, um zu versuchen, das Schicksal ihrer Völker zu wenden.
„Du bist für jemanden, der dermaßen klein ist, wirklich sehr widerspenstig und unglaublich zäh.“
„Hey, ich bin immerhin eineinhalb Schritt und zwei Fingerbreit groß.“ Raj seufzte. „Mir ist gar nichts anderes übrig geblieben“, murmelte er. „Meine Mutter hatte mich immer versucht zu verhätscheln, weil ich doch so klein und zart war. Meine Brüder … na ja, sie sind Brüder. An der Akademie hingegen hielt man mich für Freiwild.“
Was noch untertrieben war. Umgeben von Gestaltwandlern aller Rassen hatte er einen extrem schlechten Stand gehabt. Die wenigen Wölfe, die Adler, Pferde, sämtliche Raubkatzen und sogar die Raben aus anderen Schwärmen hatten ihn allesamt gepiesackt, und das nicht nur wegen seiner mangelnden Größe. Siebte Söhne galten als Unglücksboten und es gab keinen bösartigen Witz über nutzlose Prinzen, Zwerge und Raben im Allgemeinen, den Raj nicht kannte.
„Wir sollten schlafen gehen“, sagte Farres und versuchte, seinen Fuß zu befreien.
Raj hielt ihn weiter fest. Er hatte bereits die ganze Zeit über auf ein gelbblütiges Gewächs gestarrt, das hier überall wuchs. Seine Mutter züchtete es in ihrem Garten. Wie es hieß, wusste er nicht mehr, doch er wusste, dass seine Mutter es für Wunden benutzte. Den Duft dieser Blume kannte er zu genau von den zahllosen Umschlägen, die sie ihm in der Kükenzeit machen musste, darum war er sich seiner Sache sicher.
„Meinst du, wir können ein Feuer riskieren?“, fragte er zögerlich.
„Ungern, es wird auch schwierig, so nass, wie es ist.
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