Der 7. Rabe (German Edition)
müssen wir uns sputen und von hier verschwinden. Wenn deine Raben hier am Himmel kreisen, dann sind meine Wölfe nicht weit. Und wir dürfen uns von niemandem erwischen lassen. Also, bist du in der Lage für eine kleine Wanderung?“
„Wohin soll es denn gehen?“, fragte Raj misstrauisch.
Farres legte den Kopf schief. „Zur Hohen Akademie“, antwortete er schließlich.
Rajs Blick war pures Gold wert. Eine Mischung aus Fassungslosigkeit und schierem Entsetzen. Selbst eine ganze Weile später, als sein Arm in einer Schlinge hing, er angezogen war und im Laufen von den spärlichen Vorräten aß – viel hatte Farres wegen der für Raj benötigten Kleidung nicht mitnehmen können –, wirkte er alles andere als erfreut.
„Kleine Wanderung?“, murrte er. „Weißt du eigentlich wie lange man bereits unterwegs ist, wenn man fliegen kann? Zu Fuß werden wir Wochen brauchen.“
„Der Gedanke an Farouche wird unsere Schritte beflügeln.“ Farres grinste, dabei war ihm gar nicht zum Lachen zumute. Er fühlte sich weiterhin müde und erschlagen und Raj stolperte mehr, als das er lief. Einige Male hatte er ihn bereits auffangen müssen. Dabei war der kleine Rabe tapfer und versuchte das Tempo mitzuhalten, das Farres anschlug. Offenbar verbot es ihm der Stolz, sich zu verwandeln und tragen lassen. Farres ließ ihm seinen Willen. Über kurz oder lang würde Raj ohnehin keine Wahl bleiben, denn er war bei weitem noch nicht kräftig genug.
„Was willst du in der Hohen Akademie? Ich war nicht gerade traurig, als ich sie endlich verlassen konnte!“
Es wurde wohl Zeit, Raj in sein Vorhaben einzuweihen und ihn zu einem Verbündeten zu machen. Falls Farres den Kleinen richtig einschätzte, würde er keine Schwierigkeiten machen, sondern ihn in seinem Vorhaben unterstützen. Und wenn er sich doch geirrt hatte, dann würde er Raj Schwierigkeiten bereiten. Also begann er von der Landkarte mit den darauf verzeichneten Grenzen zu berichten und von seinem Plan, diese Karte in der Hohen Akademie zu suchen. Raj unterbrach ihn nicht und schwieg auch lange Zeit, nachdem er fertig gesprochen hatte.
„Sag doch etwas“, bat Farres, den diese Stille verunsicherte. Hielt Raj das alles für Unsinn?
„Ich überlege gerade, in welchem Teil der Bibliothek wir uns umschauen müssten“, murmelte Raj gedankenverloren. „In der Abteilung für Geschichte oder doch besser dort, wo die ganzen topografischen und thematischen Karten lagern? Vielleicht auch in der Abteilung, in der sich die Biografien der letzten Könige befinden …“
Farres wagte es, erleichtert aufzuatmen. „Du wirst mir also helfen?“
Der Kleine gab einen resignierten Laut von sich. „Bin ich etwa frei in meiner Entscheidung?“
„Nein, eigentlich nicht.“
„Dann bleibt mir ja gar nichts anderes übrig.“
10.
Die Zeit hatte in ihrem Gesicht für Spuren gesorgt und auch ihre Hüften runder geformt, doch obwohl Ralinda nicht mehr die Jüngste und Schlankeste war, erschien sie ihm so schön wie eh und je. Wenigstens hatten seine sieben Jungen das gute Aussehen ihrer Mutter geerbt und mussten nicht mit seiner Hakennase umherlaufen. Doch noch nie hatte König Rajadas Angst vor seiner Frau gehabt. Na ja, eventuell damals, als er es gewagt hatte, hinter dieser drallen Matrone herzublicken … Ralindas derzeitiger Miene nach, sollte er jetzt wohl schleunigst Furcht verspüren.
„Wo ist mein Küken, Rajadas?“, fragte sie. Wie gut, dass sie eine Königin war und keine Küchenmagd, wo sie an ein Nudelholz hätte gelangen können. Das hätte sie sicherlich zur Verstärkung ihrer Worte in die hohle Hand klatschen lassen.
„Unsere Raben suchen ihn noch, meine Liebe“, antwortete er. „Bestimmt werden sie ihn bald finden.“
„Und wenn die Wölfe uns zuvorkommen?“ Händeringend trat sie an eines der Fenster und schaute in die Dunkelheit hinaus. „Das wäre alles nicht geschehen, hättest du ihn nicht vor fünf Jahren aus dem Haus getrieben.“
Diesen Vorwurf machte er sich selbst regelmäßig zu jeder Stunde, die ohne eine Nachricht von Raj verstrich.
„Es tut mir leid, Rajadas. Das hätte ich nicht sagen sollen.“ Sein liebes Weib setzte sich zu ihm und drückte sanft seine rheumatischen Finger, die daran Schuld trugen, dass er nicht persönlich nach seinem Jüngsten suchen konnte.
„Leider entsprechen deine Worte der Wahrheit“, sagte er seufzend. „Aber Raj hat mich damals so wütend gemacht, dass ich nicht mehr weiter
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