Der 7. Rabe (German Edition)
das, was ihr wirklich braucht.“
Dieser Nachsatz dämpfte die Freude, die Farres und Raj hatte aufspringen lassen. Der Altehrwürdige wartete geduldig, bis sie sich wieder gesetzt hatten.
„Farres, warum ist die Karte nutzlos, um den Krieg zu beenden?“
„Was? Ich …“ Hilflos stotternd konnte sein Wolf nur die Schultern zucken. Mit dem geduldigen Ausdruck eines Lehrmeisters, der seinem Schüler die Lektion nicht zum zwanzigsten Mal erklären, sondern ihn zur Erkenntnis führen wollte, faltete der Altehrwürdige die Hände.
„Warum führen die Wölfe Krieg gegen die Raben?“
„Wegen der Territorialstreitigkeiten. Seit ewiger Zeit wirft einer dem anderen vor, Land gestohlen zu haben“, erwiderte Farres sofort.
„Das stimmt so nicht. Diese Grenzstreiterei ist lediglich der Grund für eine über Generationen gewachsene Feindseligkeit zwischen euren Völkern. Warum genau ist daraus ein offener, blutiger Kampf geworden?“
„Weil meine Schwester grausam ermordet wurde. Weil darauf harte Vergeltungsschläge gefolgt sind. Weil ich in eine Wolfsfalle getreten bin“, zählte Farres stockend auf.
„Taten, für die vermutlich Ephrim Garrussohn zu beschuldigen ist. Welchen Grund gibt es noch?“
„Farouche“, stieß Raj ungefragt hervor. „Er will den Krieg mit aller Macht. Er will das Morden und sinnlose Gemetzel. Genau wie einige andere Wölfe. Und auch Raben.“ Den letzten Satz sprach er sehr leise.
„Du siehst, Farres: Die Landkarte wird helfen, den Frieden zu sichern und eine neue Ordnung zu erschaffen, die für beide Völker das Beste bringen wird. Doch um den Krieg zu beenden, musst du dich deinem Bruder stellen. Wenn Farouche bereit für den Frieden ist, werden alle anderen, ob Wölfe oder Raben, sich ihm anschließen.“
Farres ließ mutlos den Kopf sinken.
„Gegen Ephrim kann ich kämpfen“, flüsterte er. „Er ist ein Ärgernis, ja, eine Gefahr, das auch, aber ich kann ihn ausschalten. Gegen Farouche bin ich machtlos.“
„Bist du das? Hast du auf deinem langen, gefahrvollen Weg hierher nichts gelernt?“
Erwartungsvoll blickte der Altehrwürdige sie beide an, wie sie nacheinander die Köpfe schüttelten.
„Vor wenigen Wochen erst wolltest du, Farres, diesem jungen Mann die Kehle rausreißen und seine Brüder hättest du mit Freuden zum Frühstück verspeist. Nun sitzt ihr Hand in Hand vor mir, du hast Raj dein Herz gegeben und bist mit seinen Brüdern befreundet. Was lehrt dich das über den Weg des Hasses?“
„Farouche wird mich für einen miesen Verräter halten! Er wird mich hassen, weil ich mich mit denen verbündet habe, die er töten will!“
„Farouche liebt dich. Und nur dich allein“, wagte Raj einzuwenden.
„Er hat auch unsern Vater geliebt!“, brüllte Farres. „Das hat ihn nicht daran gehindert, ihn in Stücke zu reißen! Wenn er mir gegenübersteht, wird er mit mir das Gleiche tun und mich anschließend betrauern, als Ausdruck seiner Liebe !“
Aufgewühlt sprang er auf und begann, im Raum auf- und abzulaufen.
„Was kannst du tun, Raj, um genau das zu verhindern?“ Der Altehrwürdige blieb vollkommen unbeeindruckt und sprach genauso ruhig und leise zu ihm wie zuvor.
„Ich weiß es nicht. Ich sehe keinen Weg, als Farouche umzubringen, aber das würde das Rudel wohl kaum zu Friedensgesprächen bewegen.“
„Erinnere dich, wie du Nantir an deinem zweiten Tag in diesen Hallen dazu gebracht hast, dich nicht totzuschlagen.“
Etwas, woran Raj nicht unbedingt gerne dachte … Sie waren zusammengestoßen, und irgendwie war daraus ein ernsthafter Kampf entstanden. Nantir war weggerutscht, als Raj eine hastige Ausweichbewegung gemacht hatte. Raj hatte sich über ihn geworfen und dadurch die Gelegenheit zu einem vernichtenden Schlag gehabt – worauf er verzichtet hatte. Zum Dank dafür hatte die verdammte Schlange ihn gebissen. Seine erste Bekanntschaft mit dem betäubenden Serum, das er von Anfang an nicht vertragen hatte. Und der Beginn seiner Leidenszeit an dieser Akademie.
„Nantir hat mit dem Biss dafür gesorgt, dass er sein Gesicht vor den anderen wahren konnte. Seit diesem Tag war er allerdings auch dein heimlicher Verbündeter.“
„Nantir ist aber bei vollem Verstand, wofür ich bei Farouche nicht meine Hand ins Feuer legen würde“, flüsterte Raj.
Farres fuhr heftig zusammen, so als ob er aggressiv reagieren wollte, sagte jedoch nichts.
„Es liegt an euch, einen Weg zu finden, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Oft genügt es, nicht
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