Der 7. Rabe (German Edition)
zuzuschlagen, obwohl man die Möglichkeit dazu hätte.“ Der Altehrwürdige nickte auf jene salbungsvolle Art, die zeigte, dass das Gespräch damit beendet war.
„Ich möchte, dass ihr sechs noch eine weitere Nacht hier verbringt und an allen Mahlzeiten teilnehmt.“
„Was soll das bringen?“, fragte Farres verblüfft. „Die Stimmung war eben ziemlich gegen uns aufgeheizt.“
„Niemand wird euch angreifen, dich schon aufgrund deines Ranges nicht, Farres. Es demonstriert, dass ihr weiterhin geduldet seid und wird verdeutlichen, dass Liebe und Freundschaft keine Frage der Rasse sein muss. Eine wichtige Lektion, die leider mit Worten allein nicht zu lehren ist. Schickt mir nun Randyn herein. Der junge Mann scheint ein wenig Führung zu benötigen, um loslassen zu können, was er liebt.“
Raj schluckte mühsam alles herunter, was er darauf hätte erwidern können. Er hatte selbst bemerkt, wie schwer sein Bruder sich tat, ihn mit Farres zusammen zu sehen.
„Altehrwürdiger, die Karte?“, fragte er stattdessen.
„Sie wird euch morgen zum Mitnehmen bereit liegen. Oh, da fällt mir ein …“
Der Altehrwürdige öffnete eine Truhe und zog einen Stapel Umschläge hervor.
„Diese Briefe haben wir im Zimmer von Reinur Reckertssohn gefunden, als er die Akademie verließ. Es scheint, dass du deine Post nicht erhalten hast, wann immer es an ihm war, sie zu verteilen. Es tut mir sehr leid, Raj. Zweifellos hat das, was als Streich gemeint war, zu all dem Unglück geführt, das dir widerfahren ist. Auch wenn letztendlich Gutes daraus entstanden ist, gibt es keine Entschuldigung für diesen Diebstahl.“
Raj musste schlucken, als er die rund zwanzig Briefe entgegen nahm. Reinur, ein Rabe aus einem anderen Schwarm, hatte sich nie feindselig benommen. Ein Freund war er auch nicht gewesen, sie hatten sich mehr oder weniger ignoriert. Ihm hätte Raj eine solche Tat nicht zugetraut.
„Immerhin hat er sie weder gelesen noch zerstört“, murmelte er, um sich selbst aufzumuntern. Was geschehen war, war geschehen.
„Wusstest du übrigens, dass der Aberglaube, der siebte Sohn eines Königs müsse magische Fähigkeiten oder ein außergewöhnliches Schicksal besitzen, noch aus der Zeit stammt, als es keine Wandler gab?“
Da war es wieder, das amüsierte Funkeln in den dunkelbraunen Augen des Altehrwürdigen. Als Raj den Kopf schüttelte, erntete er dafür ein bekräftigendes Nicken.
„Ein Glaube, der so lange Zeit übersteht, sollte zumindest nicht ignoriert werden, nicht wahr?“
Ein Gedanke, über den man nachgrübeln konnte, bis man vollends den Verstand verlor.
Das Gefühl, dem Schlimmsten knapp entronnen zu sein, sobald er die Tür hinter sich schloss, hatte Raj noch gut in Erinnerung. Manche Dinge würden sich wohl nie ändern.
„Was sollte das bedeuten, dass es keine Wandler gab?“, flüsterte Farres verwirrt. Auch ihm war die Erleichterung darüber anzusehen, dass sie glimpflich davongekommen waren, obwohl sie nun mehr Fragen als vorher quälten.
„Man sagt, dass unsere Urururururururahnen reine Menschen waren, die sich nicht verwandeln konnte. Bizarr, oder?“
„Unvorstellbar …“
Raj erklärte seinen Brüdern in Kurzfassung das, was ihnen alles gesagt worden war. Während Randyn sichtlich nervös zum Altehrwürdigen ging, las Raj die Briefe, die ihm vorenthalten worden waren. Grüße aus der Heimat von seinen Eltern und Geschwistern, oft mit lustigen Erzählungen, die nicht gänzlich verheimlichen konnten, wie sehr der Krieg sie alle belastete. Erst jetzt erfuhr Raj vom Tod einiger Freunde und Verwandten, auch die beiden Nachrichten, die ihn eindringlich vor den Grenzverschiebungen warnten, waren dabei. Farres las mit, und war anschließend genauso still und niedergedrückt wie er selbst.
Seine Brüder hockten bei ihnen und gaben ihnen schweigend Rückhalt, bis Randyn zurückkam.
Der überraschte sie damit, dass er Raj lediglich kurz durch die Haare wuschelte, wie er es schon immer gerne getan hatte, und dafür Farres fest in die Arme schloss.
„Hat noch irgendjemand außer mir Hunger?“, fragte er dann und grinste so fröhlich, wie man es von ihm kannte. „Unseren Wolfsbruder sollten wir gut füttern, damit er bei Laune bleibt.“ Er hakte sich links bei Raj, rechts bei Farres unter und marschierte mit ihnen in Richtung Speisesaal.
Manche Dinge änderten sich tatsächlich zum Guten …
17.
Im Speisesaal wurde es schlagartig still, als sie eintraten und an einem freien Tisch
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