Der 7. Tag (German Edition)
geplant. Aber nicht begangen, was mir angesichts der offensichtlichen
Beweise keiner glaubt, nicht mal du, mein lieber Ulli.
Der Zeichner ist wieder da. Er scheint ganz gut zu sein.
Auf jeden Fall hat so eine Zeichnung den Vorteil, dass man nicht jede Linie in
meinem Gesicht sieht. Und die vergangenen zwei Jahre haben eine Menge Linien in
meinem Gesicht hinterlassen.
Sie berufen das hübsche aber begriffsstutzige Mädel von der
Rezeption des Hotels, in dem Michael abgestiegen war, in den Zeugenstand. Ilka
Heinrich. Ilka erinnert sich an mich. Komisch, dass Menschen sich nach so
langer Zeit noch an Gesichter erinnern können. Ich jedenfalls kann mich an ihr
Gesicht nicht mehr erinnern, nur daran, dass sie doof war.
„Ja“, sagt Ilka, „die Angeklagte hat nach Michael Thalheim
gefragt. Aber der Mann, der bei uns erstochen worden ist, war ja gar nicht
Michael Thalheim. Der hieß doch Thanner. Marcus Thanner. Das habe ich der Frau
auch gesagt.“
Ilkalein erinnert sich natürlich daran, dass ich versucht
habe, den Namen herauszubekommen, unter dem mein Ehemann Michael in ihrem Hotel
abgestiegen war. Ich habe mich ja auch selten dämlich dabei angestellt.
„Sie hat gesagt, dass sie glaubt, dass sie einen alten
Freund gesehen hat. Na und dann weiß sie nicht mal mehr wie der heißt. Das ist
mir doch sofort komisch vorgekommen.“
Was für eine Überraschung, Ulli.
Überraschungen waren auch bei Deiner Hochzeit im Mai 2001
angesagt. Gabi war die süßeste Braut, die ich je gesehen habe. Sie trug ein
cremefarbenes Seidenkleid, unter dem sich ihr Bauch stolz nach vorne wölbte.
Sie schien einfach von innen zu strahlen. Nach dem Standesamt fuhren wir zu
Gabis Eltern nach Lichterfelde-West.
Und dann kam der Clou: Du verkündetest der staunenden
Gästeschar, dass Familie Henke gedenke, jetzt ins Grüne zu ziehen. Man habe da
ein Häuschen in Dahlem im Blick, schließlich wäre man ja bald zu viert.
„Wieso zu viert?“ fragten wir uns.
Zwillinge. Gabi würde in zwei Wochen Zwillinge bekommen! Das
war die erste Überraschung des Tages.
Michael und ich machten einen Spaziergang rund um den großen
Garten von Gabis Familie. Er war den ganzen Tag schon so still gewesen.
„Was ist los mit dir, Micha?“
Ich schaute diesen von mir so unglaublich geliebten Mann an.
Er sah einfach umwerfend aus in seinem Smoking.
„Findest du nicht, dass es Zeit ist, diese Bude in der
Regensburger aufzugeben?“
Mist, muss das heute sein, dachte ich. Ich musste mit
Michael ein ernstes Wort reden, aber bitte doch nicht zur Hochzeit meiner
besten Freundin.
Seit Wochen kaute ich an einem Problem herum. Ich hatte von
einem Kunden meiner PR-Agentur ein Angebot bekommen, dass ich nicht ausschlagen
konnte: Ein Trainee-Jahr in Amerika und das bei einem der größten Konzerne der
Welt. Auf der anderen Seite liebte ich Michael und das wäre das Ende unserer
Beziehung.
„Micha, bitte, lass uns Morgen darüber reden.“
„Wieso, verdammt. Ich meine, das ist doch auf Dauer kein
Leben, immer mit dem Buko hin- und herzureisen. Wollen wir uns nicht zusammen
eine große Wohnung suchen?“
„Ich muss dir was sagen Micha, “ begann ich vorsichtig.
„Also, ich habe da ein Angebot aus USA.“
Michael setzte sich auf eine Gartenbank und hörte mir
konzentriert zu. Wie gut er zuhören konnte. Ich setzte ihm das ganze Für und
Wider auseinander. Michael sagte kein Wort. Er schaute mich mit seinen
unergründlichen grau-grünen Augen genauso an wie damals, auf seiner
Einweihungsparty. Ich redete wie ein Buch.
Dann strich er mir zärtlich über die Haare und sagte: „Tu,
was du tun musst.“
Der Tag war für uns beide gelaufen.
Eine ältere Dame wird in den Zeugenstand berufen. Es ist die
Besitzerin des Hotels, in dem Michael erstochen wurde. Sie heißt Marianne
Schmidt. Ich habe sie noch nie gesehen. Aber ich ahne, was sie aussagen wird.
„Am Abend, bevor wir den Mord bei uns hatten, rief eine Frau
Michalski, oder Michaelski an. So genau habe ich ihren Namen nicht verstanden.
Sie hat nach Herrn Thanner gefragt. Ich habe gesagt, er ist nicht da. Aber dann
wollte sie wissen, wie lange Herr Thanner noch im Hotel wohnen wird. Ich habe
gesagt, er reist Donnerstag ab. Ich hoffe, das war nicht falsch.“
Ja, Frau Schmidt, genauso war es. Als ich hörte, dass
Michael erst am Donnerstag abreisen würde, habe ich gewusst, dass ich Zeit
habe. Deshalb hatte ich beschlossen, ihm nicht am gleichen Tag, es war der
Montag, sondern erst am
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