Der 7. Tag (German Edition)
soll. Er wird für
mich die Beweisanträge einbringen.
„Du kennst dich doch Bille, du bist viel zu impulsiv“.
Ulli, du hättest mir Michael nicht vorstellen sollen! Wir
beide hatten eine so herrlich unkomplizierte Beziehung. Die in dem Moment
endete, als ich IHN kennenlernte. Michael, deinen besten Freund. Du wolltest damals
gerade mit ihm eine Bürogemeinschaft gründen.
Es war ein immer noch warmer Septembersonntag. Wir saßen
erschöpft in einem kleinen Weinlokal namens „Enoteca“: rauhe Klinkerwände,
ungemütliche Stühle, aber die besten Antipasti in ganz Charlottenburg. Du
hattest dich gefreut, als Michael zufällig hereinkam. Na ja, damals konnte man
sich mit mir auch noch sehen lassen. Ich war schon ein bisschen betrunken. Von
deinen Säften und vom Chianti.
Michael war so ganz anders als du. Ruhig, besonnen, ich fand
ihn süß. Er sah ein bisschen schutzlos aus, als er seine Brille abnahm, um sie
zu putzen. Aber in seinen grau-grünen Augen funkelten Intelligenz und Humor um
die Wette. Du hast an diesem Abend nicht viel zum Gespräch beigetragen. Ich
glaube, du wusstest, dass da etwas zu laufen begann. Etwas, das so ganz anders
war als unsere nette kleine Bumsbeziehung. Es war nichts, was mit einem Knall
begann, so wie mit dir. Es war etwas, das sich ganz leise einschlich, ein
Gefühl, wie nach Hause kommen.
Ulli hat mir vorher bis ins Detail erklärt, was mich am
ersten Prozesstag vor dem Schwurgericht Berlin erwarten würde. Die Anklage lautet
auf Mord. Das war klar. Klar ist auch, was heute sonst so passieren wird. Sie
werden die ganzen blutigen Details wieder aus der Schublade zuppeln.
Na bitte, als erstes wird Marion Heinzel aufgerufen, das
Zimmermädchen, das Michael in seinem Hotel gefunden hat. Sie stolziert auf 15
cm-Plateauschuhen, die aussehen, als hätte sie die vom Sanitätshaus Hempel, in
den Zeugenstand. Die Arme, das ganze Gesicht voller Pickel und dann der Schock,
den sie ganz unzweifelhaft gekriegt haben muss, als sie den blutüberströmten
Michael gefunden hat. Ich habe die Fotos gesehen. Grauenvoll!
Weißt du noch Ulli, euer erstes Büro in der Sybelstraße?
Natürlich haben meine Freundin Gabi und ich euch geholfen, als ihr diese tollen
Büroräume gefunden hattet. 180 Quadratmeter mit Parkettböden, Stuckdecken und
herrlichen Rundbogenfenstern. Wir haben mit euch die Schreibtische immer wieder
umgestellt, bis das Büro so aussah, wie Ihr euch eine erfolgreiche Kanzlei
vorgestellt habt.
Wir haben euch inszeniert hinter den Schreibtischen, dafür
gesorgt, dass in jedem Raum Grünpflanzen standen, die richtigen Bilder an den
Wänden hingen. Irgendwann zwischen Putzen und Saugen, zwischen Dekorieren und
Umstellen habe ich gespürt, dass mich Michaels Zimmer mehr interessiert hat als
deines. Als dein Konferenztisch geliefert wurde, hast du mich sozusagen
probehalber darauf gepoppt. Der Konferenztisch hat es ausgehalten, unsere
Beziehung nicht. Ich habe dabei jede Sekunde an Michael gedacht, der mit Gabi
ins Bauhaus gefahren war, um Nägel zu kaufen.
„Vertrau deinem Gefühl“, hat Gabi gesagt, als ich ihr in unserem
Stammlokal „Lenz“ gestand, dass ich mich zu Michael hingezogen fühlte. Meine
beste Freundin Gabi. Heute Frau Dr. Gabriele Henke, niedergelassene Fachärztin
für Gynäkologie. Seit der 11. Klasse auf der Fichtenberg-Oberschule sind wir
unzertrennlich.
Damals haben wir alles geteilt. Die Wohnung, unsere
Hoffnungen, unsere Ängste und ab und zu auch mal einen Mann. Dabei könnten wir
unterschiedlicher nicht sein: Gabi die Abwägende, ich die Spontane. Ich habe
immer geredet, Gabi hat gehandelt. Gabi hatte damals gerade ihre erste Stelle
als Assistenzärztin am Klinikum Steglitz bekommen und ich absolvierte ein
Praktikum bei einem Berliner Privatsender.
Jetzt wird es grob: Dr. Peter Deckenbrock vom Institut für
Rechtsmedizin, sprich der Leichenbeschauer, wird zur Sache vernommen. Er ist
mit allem ausgerüstet, was die blutigen Details plastisch machen kann: Fotos
von Michael in der Blutlache hinter der Tür in diesem armseligen Hotelzimmer.
An Hand von Ausschnittvergrößerungen erklärt er in seinem Eindruck-heischenden
Expertenkauderwelsch jede einzelne Stichwunde. 18 Stichwunden, 17 vorn und eine
hinten. Jede Stichwunde über acht Zentimeter tief. Die durchtrennte
Hauptschlagader, die zerschnittenen Nerven und Sehnen auf der rechten Seite des
Kopfes.
Jawohl, Herr Dr. Deckenbrock, ich hatte wirklich vor, Herrn
Michael Thalheim den
Weitere Kostenlose Bücher