Der 8. Februar (German Edition)
ich von einer BDM-Führerin (Bund Deutscher Mädchen) gefragt, ob ich nicht Führer-Anwärterin werden und an den Schulungen jeden Sonntagvormittag teilnehmen wollte. Normalerweise bekam man erst im Alter von zehn Jahren diese Aufforderung und so fuhr ich also jeden Sonntagmorgen mit dem Fahrrad nach Heinersdorf und nahm mit anderen, mir unbekannten Mädchen, an der Schulung teil. Diesen Aufforderungen konnte man sich nicht entziehen und es galt als undeutsch, sich zu wehren. Meine Eltern wussten das, und so musste ich mich in mein Schicksal fügen. An die Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern. Wir sangen die bekannten Lieder und uns wurde der Aufbau der Hitlerjugend auf einer schwarzen Tafel erklärt. Es wurde immer genau die Anwesenheit dieser Treffen dokumentiert. Ruth war einmal krank und konnte nicht in den Dienst gehen. Sie gab beim nächsten Mal eine mit der Schreibmaschine geschriebene Entschuldigung ab und wurde gefragt, wer unterschrieben hätte. Man glaubte ihr nicht, dass es Mamas Unterschrift war und beschuldigte Ruth, sie gefälscht zu haben. Anschließend wurde bei meinen Eltern nachgefragt und erst als Mama ihre Unterschrift bestätigte, gab es Ruhe. Unsere Eltern wurden sowieso sehr beargwöhnt, da sie Außenseiter waren. Mein Vater wurde besonders beobachtet, weil er nie an politischen Versammlungen teilnahm. Er schützte immer Arbeit vor und als Inhaber eines kriegswichtigen Betriebes konnten ihm die Neider nichts anhaben. Er schlug sie also mit ihren eigenen Mitteln, trotzdem war es immer ein Risiko. Spione und Verräter waren weit verstreut und man musste sich absichern, so gut es eben möglich war. Das war der Hauptgrund, dass er nicht mehr mit den Pferden trainierte. Mama musste auch in die Frauenschaft eintreten, nahm aber aufgrund ihres Berufes nicht an den Versammlungen teil, was tapfer und gleichermaßen gefährlich war. Mit solchen Aktionen machte man sich nicht immer Freunde.
Die Urgroßmutter mütterlicherseits muss eine herzlose Frau gewesen sein, die ein gut gehütetes Familiengeheimnis mit sich herumtrug. Tante Trude erzählte Sigrid, dass sie wegen Misshandlung eines Waisenkindes, das in der Familie aufgenommen worden war, im Gefängnis war. Sie hatte das minderjährige Mädchen nicht nur geschlagen, sondern ihm auch zu wenig zu essen gegeben, was doppelt hart war, denn das Mädchen musste ja arbeiten. Ihr Ehemann hatte sie angezeigt und es ist nicht bekannt, wie lange sie im Gefängnis sitzen musste. Tante Trude berichtete auch, dass diese böse Frau selbst ihrem Enkel Karl, Sigrids Vater, im wahrsten Sinne des Wortes die Butter vom Brot nahm. Von Mama weiß ich, dass Karl eher ein schwaches Kind war.
Das Ehepaar trennte sich, der Urgroßvater wohnte bei der Rückkehr seiner Frau in seinem ehemaligen Elternhaus bei seinem Bruder (gegenüber bei Löffels), und Muttel brachte ihm das Essen, auf das er ja Anspruch hatte. Die sowieso kleinen Bauernhäuser in Klein-Bischwitz hatten wohl alle ein sogenanntes Auszugshaus, in dem die alten Leute wohnten, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter den Hof übernahmen. Mama sagte mir einmal, dass ihre Großmutter ein Stück Garten bewirtschaftete und den Flieder mit zum Markt nach Breslau gab. Es waren sechs bis acht Fliederbüsche, die sie sich ausbedungen hatte. Mamas Vater fuhr jeden Morgen die Milch aus dem Dorf mit einem Pferdewagen auf den Markt und auf der Rückfahrt brachte er Waren und Medikamente aus Breslau mit, die die Kleinbauern brauchten und in ihrem Dorf nicht bekamen. Er verkaufte die Milch an feste Kunden und von den Lieferanten bekam er ein paar Prozente für Transport und Verkauf. Öfters brachte er auch etwas für seine Kinder mit, was sich aber schlagartig änderte, als der Erste Weltkrieg 1914 ausbrach und er eingezogen wurde. Tante Trude war das älteste von acht Kindern und wurde mit dreizehn, nach nur sieben Jahren Schule, von ihr freigestellt, weil sie zu Hause gebraucht wurde. Zuerst wurde ein Knecht eingestellt, später stattdessen eine Magd. Trude hatte aber schon in jungen Jahren die Pferde geführt und versorgt. Onkel Ferdinand wurde 1911 als Jüngster geboren.
6. Gestapo-Männer in unserem Haus
Unsere Fabriksirene ersetzte den Bauern die Uhr, mittags um 12.15 Uhr am Anfang der Pause und um 13 Uhr an deren Ende. Später ertönte sie bei Fliegeralarm, wenn Papa telefonisch benachrichtigt wurde, aber in Heidau war nie Gefahr. Es gab zwei große Angriffe auf Breslau, die aber keinen
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