Der 8. Februar (German Edition)
versuchten dann zu telefonieren, aber es war schon Feierabend im Amt. Sie trauten sich nicht, in der Fabrik nach Papa zu suchen. Sie hatten bestimmt zuviel Angst vor unseren zahlreichen Arbeitern. Als er nach einiger Zeit nicht wiederkam, warteten die beiden Männer ungeduldig im Hof. Papa ließ sich nicht blicken, und die Männer führten daraufhin eine Hausdurchsuchung durch. Mama und wir Kinder begleiteten sie.
Ergebnislos verließen sie das Grundstück. Papa schickte etwas später zwei Polen aus der Fabrik zu uns ins Haus, um festzustellen, ob alles in Ordnung war und er zurückkommen konnte. Er hatte sich die ganze Zeit unter den Bündeln mit fertigen Fellen in der Scheune versteckt und kam zum Abendessen mit der Familie. Großmutter Pauline schloss wie immer das Hoftor ab.
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen ging Papa zum Telefon und rief ein Amt in Berlin an. Er erklärte ihnen die Situation und bat um Korrektur, da die Produktion ohne ihn zum Stillstand kommen würde. Ich war zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg zur Schule.
Papa fuhr dann im eigenen Auto, dem DKW, nach Liegnitz und stellte sich. Er wurde tatsächlich für vierzehn Tage eingesperrt und immer wieder vernommen. Ihm wurden Passagen aus einem anonymen Brief vorgelesen, worin er der Konspiration bezichtigt wurde. Er würde die ausländischen Arbeiter zu freundlich behandeln, der Umgang mit ihnen in ihren Unterkünften bei Musik und Gesang sowie die Versorgung mit Kleidung und namentlich zweier Kinderwagen wäre gegen die Verordnungen. Die Arbeiter würden Kaninchen züchten, um die Ernährung zu verbessern. Von der Ziegenmilch, die zur Verbesserung der Kuhmilch verwendet wurde, um das Soll zu erfüllen, wusste der Autor wohl nichts.
Nachts hörte Papa Schüsse im Gefängnis. Es waren die Nachwirkungen des Attentats auf Hitler, das am 20. Juli stattgefunden hatte. Verdächtige Gefangene wurden vehört und auch schnell erschossen. Papa wurde schließlich nur durch Fürsprache seiner Auftraggeber in Breslau oder Berlin wieder nach Hause entlassen.
Im September sprach Papa nach seiner Entlassung mit dem Ortsbauernführer Köhler in Heidau über die ganze Sache und dieser wollte versuchen, den anonymen Brief zu besorgen. Es gelang ihm dann auch Mitte Dezember, und Papa sah eine verstellte Handschrift, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Er deckte verschiedene Stellen ab und zeigte sie seiner Mutter, die ohne zu zögern sagte, dies sei die Handschrift von Hans Krause. Sie sagte schon nicht mehr, dies sei die Handschrift ihres Mannes. Pauline schwieg aber genau wie meine Eltern. Sie mussten jetzt sehr vorsichtig sein und nicht auffallen. Papa war ja schon bei der Gestapo bekannt und wollte natürlich nicht noch einmal verhört werden. Krause war gefährlich.
Unser Vater war nicht nur ein Unternehmer und Familienvater, sondern hatte unverhoffterweise auch ein Ehrenamt inne. Er wurde von zwei Ukrainerinnen und deren Verlobten gefragt, ob er sie trauen würde. Mein Vater erkundigte sich beim Bürgermeister und fand heraus, dass Ausländer nicht amtlich vermählt werden durften, und somit hatte auch unser Pfarrer keine Erlaubnis. Natürlich wussten alle Beteiligten, dass Papa keine amtlichen Befugnisse hatte, aber in dieser Zeit, an diesem Tag, kümmerte das keinen. Papa willigte ein und es kam zu einer schnellen, erbarmungswürdigen Zeremonie. Es wusste keiner, wie lange der Krieg anhalten würde, und so wurde nur mit ihren Herzen und gegenseitigen Versprechen geheiratet. Papa setzte trotzdem zwei Dokumente auf, unterschrieb sie und setzte den Firmenstempel darunter.
Wir hatten fünfundzwanzig Ukrainer und zwanzig Ukrainerinnen in der Firma, die Zwangsarbeiter waren. Der Rest waren Polen und Tschechen, die in ihren Ländern keine Arbeit fanden. Unsere Produktion belief sich auf täglich fünftausend Kaninchenfelle. Einmal die Woche gab es einen Badetag für die Arbeiter, die dann nach Absprache in der Nasswerkstatt badeten.
Gisel und ich sahen uns noch einmal an ihrem Geburtstag am 12.1.1945. Die Weihnachtsferien markierten das Ende unserer Schulzeit in Schlesien. Nach den Feiertagen gab es noch eine letzte traditionelle Treibjagd und kurz darauf kamen die ersten Flücht-lingszüge aus dem Osten durch unser Dorf.
Am 28. Januar 1945 wurde Heidau geräumt, nachdem schon wochenlang Flüchtlingskolonnen auf der Straße von Breslau nach Berlin durch den Ort gezogen waren. Es war verteufelt kalt, jede Nacht minus 30
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