Der 8. Februar (German Edition)
mächtigen Schaden anrichteten. Es waren russische Kampfflugzeuge, die im Gegensatz zu den alliierten Fliegern nicht sehr zielsicher waren.
Papa fuhr einmal wöchentlich nach Liegnitz, um Essen und Kleidung für die ukrainischen Arbeiter zu kaufen. Der Lohn, den sie als Zwangsarbeiter verdienten, musste an den deutschen Staat bezahlt werden. Sie wohnten in Baracken auf dem Fabrikgelände, die eigens für sie gebaut wurden.
Ostern 1944 kam die Trennung von Gisel. Sie durfte nach Liegnitz ins Gymnasium, ich nicht. Papa wollte mich wegen der Bombengefahr nicht in die Stadt lassen. Ich weinte damals sehr und musste mich damit abfinden, in der Oberklasse in Heidau unterrichtet zu werden. Irgendwie spürte ich schon damals, dass mein Traum damit platzte, Lehrerin zu werden. Es war auch die Zeit, in der mir die Kriegszustände immer bewusster wurden. Von da an mussten wir uns alle jeden Tag auf eine neue Veränderung einstellen, die Zeit der Spiele war zu Ende. Horrormeldungen trafen ein, das Dorf spaltete sich in Befürworter und Gegner des Krieges. Die Gegner waren in der Mehrheit, konnten und durften aber nicht gegen bestehende und neue Gesetze verstoßen. Politik wurde nie öffentlich diskutiert, das Vertrauen innerhalb der Gemeinde war gestört. Wir wussten von Brüdern, die auf Grund gegensätzlicher Meinungen und Auffassungen nicht mehr miteinander sprachen und Feinde wurden.
Nach Ostern fuhr Gisel täglich mit dem Bus nach Liegnitz zur Schule. Sie und noch einige Dorfkinder aus anderen Orten mussten in eine Vorklasse, um ihren Wissensstand auf das Niveau der Stadtkinder zu bringen. Im Winter blieb sie die Woche über bis zu den Weihnachtsferien bei Justs Freunden in der Stadt und kam erst am Freitag zurück nach Heidau.
Wally, eine unserer Angestellten, erzählte mir am 19. Juli 1944 als wir auf der Straße von Parchwitz nach Hause unterwegs waren und Gladiolen für Papas Geburtstag gekauft hatten, dass ihre Familie ein Kohlegeschäft in der Tschechei gehabt hatte. Ihr Vater wurde eines Tages von den Nazis abgeholt und in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, weil er Jude war. Wladislawa Pollock war katholisch aber die beiden Töchter Nelly und Wally waren Halbjuden, wenn auch, wie ich glaube, katholisch. Als ich einmal krank im Bett lag, verkleidete sich Nelly am Nikolaustag und brachte mir selbstgebackene Plätzchen. Ganz ungewohnt für mich war, dass sie in einem Bischofskostüm mit lila Kreuz und Mitra in mein Zimmer kam. Das Kostüm war zum Großteil aus Packpapier gefertigt. Sie hatte sich einen langen Bart gemacht, aber ich erkannte sie doch. Ungewohnt für mich deshalb, weil der Nikolaus in Schlesien einen roten Mantel und eine rote Mütze mit weißem Pelzrand hatte. In Glockschütz, meinem ersten Zuhause, hatte Papa immer den Nikolaus gespielt. Ich war noch sehr klein und wir waren an einem der ersten Wintertage in Hundsfeld einkaufen. Neugierig hatte ich eine Nikolausmaske in einer Tüte erspäht, doch als Papa sie dann später trug, erkannte ich ihn nicht. Zusätzlich verstellte er auch noch seine Stimme und Aussprache, und ich war von dem ganzen Auftritt so fasziniert, dass ich mir nicht vorstellen konnte, es könne Papa oder sonst jemand aus der Familie sein. Ruth erklärte mir dann alles, geglaubt habe ich ihr aber nicht.
Eines späten Nachmittages, etwa in der ersten Augustwoche, bekam mein Vater überraschenderweise Besuch von zwei Männern der Geheimen Staatspolizei (Gestapo). Sie waren mit schwarzen Ledermänteln und Hüten bekleidet, und Papa empfing sie in seinem Büro, nachdem er telefonisch unterrichtet wurde, ins Haus zu kommen. Nach kurzer Unterhaltung wollten sie ihn mit nach Liegnitz nehmen, doch Papa stand auf und sagte, an diesem Abend sei das nicht möglich, er müsse noch einige Dinge in der Fabrik klären und würde sich am nächsten Morgen melden.
Daraufhin wollten die Gestapo-Männer telefonieren, doch Papa erklärte ihnen nicht, wie unser Telefon zu bedienen sei. Unser Telefon hatte mehrere zusätzliche Knöpfe, und man musste den silbernen zuerst drücken, um ein Amt zu bekommen. Er verließ das Büro und überquerte den Hof, wonach er in einem Fabrikgebäude verschwand.
Die Männer sagten zu Mama:
„Zeigen Sie uns, wie das Telefon funktioniert.“
Darauf erwiderte sie ganz ruhig:
„Mein Mann hat es ihnen nicht gezeigt, also werde ich Ihnen das auch nicht zeigen.“
Die Beamten probierten einige Zeit am Telefon herum und
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