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Der 8. Februar (German Edition)

Der 8. Februar (German Edition)

Titel: Der 8. Februar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeron North
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Neumann hatte beim Einmarsch der Russen ihren behinderten Sohn verloren. In ihrer Scheune wurden zwei desertierte deutsche Soldaten gefunden und so war er gleich mit ihnen erschossen worden. Sie hatte die drei in ihrem Garten beerdigt. Ebenso waren am ersten Tag in unserer Dorfstraße ganz in der Nähe zwei alte Männer erschossen worden, die mit ihren Frauen in ihren kleinen Arbeiterhäuschen wohnten, krank in ihren Betten gelegen hatten und nicht mehr flüchten konnten.
       Ich weiß nicht mehr, ob ihr Mann in diesem Zusammenhang auch ums Leben kam, oder ob er kurz vorher gestorben war. Jedenfalls war Frau Neumann eine ziemlich verwirrte Frau, die jeden Morgen verkündete, sie würde am nächsten Abend zu Hause schlafen, weil die Jalousien geklappert hätten und sie deshalb nicht schlafen konnte. Der Stress und die Angst forderten ihrem Preis.
       Monatelang hatten wir jede zweite Nacht den russischen Nachschub im Hof und die Offiziere im Haus. Unser Glück waren die Ukrainerinnen, die das Erdgeschoss bewohnten, sich Blusen aus den bunten Übergardinen für den Sommer nähten und die Russen mit dem Nötigsten versorgten. In jener Zeit kam kaum ein Soldat nach oben. Eine dieser fremden Ukrainerinnen hatte einen kleinen Sohn, auf den ich manchmal aufpasste. Er war etwa eineinhalb Jahre alt und wurde Wowa genannt. In Wirklichkeit hieß er Wolodja und ich bekam für meinen Einsatz mehrere Male ein Stück selbstgemachten Käse von der Mutter. Es war eine Art Mozarella, nur etwas fester.
       Papa hatte uns folgendermaßen instruiert: wenn uns Russen gegenüber stehen sollten, musste Ruth in Ohnmacht fallen, Mama sie auffangen, Ursula schreien und auf den bereitstehenden Eimer gehen, ich sollte Wasser holen. Als es dazu kam, verhielten wir uns genau so und hofften auf das Beste. Kreidebleich waren wir ohnehin alle. Das Ablenkungsmanöver hat mit viel Glück geklappt.
       Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie Papa gelitten haben muss, uns in dieser Hölle allein zurückzulassen. Mama und wir Kinder waren vollkommen unvorbereitet, unselbständig, ausgeliefert. Doch wir entwickelten Überlebensstrategien, die er sicher nicht für möglich gehalten hatte. Den Brunnen für das Trinkwasser hatte er noch kurz vor seiner Abholung aufgedeckt, mit dem schweren Stein hätten wir unsere Probleme gehabt. Er zeigte uns, wie man das Wasser schöpfen musste und er schärfte uns ein, das Feuer im Herd nicht ausgehen zu lassen, wenn keine Streichhölzer mehr da sein sollten. Er zeigte uns das alles, aber wie sollte er wissen, dass wir es auch so machen würden? Manchmal ging das Feuer doch im Sommer aus, und so ging ich zum Nachbarn Jungfer und holte neues mit einem Kienspan.
    Er war es auch, der uns half, die Haustüren zu sichern. Die vordere Haustür ging nach innen auf, und so wurden rechts und links dicke Eisenhaken neben dem Türrahmen in die Mauer geschlagen und eine stabile Eisenstange quer eingelegt. Die schwere Eichentür hielt immer stand, aber oft mussten wir sie öffnen, wenn uns gedroht wurde, das Haus niederzubrennen.
    Die hintere Tür zum Garten ging nach außen auf und so wurde eine Holzstange mit einem Strick um die Klinke geschlungen und gedreht bis sie gegen den Türrahmen festsaß. Tagsüber wurden die Türen nur mit Schlüsseln abgeschlossen, denn Ruth musste ja fliehen können, wenn auf der anderen Seite Gefahr drohte. Es kam natürlich auch vor, dass vorne und hinten gleichzeitig russische Soldaten standen. Ruth rannte dann sofort in den Keller, der auch noch einen Ausgang hatte. Da dieser Keller als Luftschutzbunker ausgestattet war, ging sonst niemand hinein.
       Nachdem Papa in Gefangenschaft gekommen war, Mama sehr krank war, Ruth versteckt werden musste und zudem der alte Krause sein wahres Gesicht zeigte, entwickelte ich ein Verantwortungsbewusstsein und in einer Geschwindigkeit, die mir jetzt im Nachhinein selbst unwahrscheinlich vorkommt. Aber es war so, denn es hatte mir den Spitznamen „Mami“ eingebracht.
       Etwa in dieser Zeit geriet Papas Bruder Otto in amerikanische Gefangenschaft auf deutschem Boden. Er hatte sich mit seiner kleinen Familie bis weit in den Westen Deutschlands durchgeschlagen. Nun musste er hungern und hatte keinen Kontakt mehr zu seinen Lieben. Der Hunger war so schlimm, dass einige Gefangene sogar Gras aßen, um überhaupt etwas im Mund zu haben. Nach etwa einem halben Jahr kam er endlich frei.
       Ein russischer Offizier betrat unser Zimmer und sagte auf

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