Der 8. Februar (German Edition)
voller Magen anfühlte und dann war ich weg. Es war das erste Mal, dass ich allein in einem fremden Bett schlief.
Am nächsten Morgen erwachte ich vom Geräusch der Teller und Tassen im Nebenzimmer. Ich stand auf, legte die Decke zusammen, machte eine kurze Morgentoilette unter primitiven Umständen und setzte mich an den Tisch. Es gab ein Frühstück mit Brot, Butter und Pflaumenmus, dazu etwas Milch, mehr als ich mir das erhofft hatte und ich langte zu. Wir werden für eine lange Zeit nichts bekommen, dachte ich bei mir, und legte meine Hemmungen ab. Nach dem Essen verabschiedeten wir uns herzlich und machten uns wieder auf den Rückweg. Wir kamen zu dem gleichen Wachposten, der uns erkannte und wir durften ungehindert passieren. Hilda hatte etwa 250g Butter und Mehl bei sich, ich nur ein Töpfchen Quark. Ihre kleine Tasche wurde nicht kontrolliert, die arme Hilda sah selbst für den Russen erbarmungswürdig aus: klein, hinkend, sehr dünn mit rußgeschwärztem Gesicht. Ich wurde so gut wie gar nicht beachtet, was mir recht war.
Meine große Sorge war: Was würde ich zu Hause antreffen? Lebten all noch? Der Rückweg kam mir irgendwie kürzer vor.
Am späten Nachmittag erreichten wir Heidau und unser Haus. Auf das verabredete Klopfzeichen öffnete Mama die Küchentür.
„Gott sei Dank“,
sagte sie und auf meine fragenden Augen fügte sie hinzu:
„Alles in Ordnung, Ruth ist auch da.“
Im selben Moment hörten wir das Geräusch von näherkommenden Militärfahrzeugen. Es handelte sich um die nächste Einquartierung, diesmal viel früher als gewöhnlich. Den Grund dafür erfuhren wir natürlich nicht, wir zählten nicht als Menschen.
Einige Wochen später erzählte uns Hilda, ihre jüngere Nichte in Panten und Mutter des kleinen Jungen, sei erschossen worden. Sie war entlassenen deutschen Soldaten, die verwundet waren und nicht für den Transport nach Russland in Frage kamen, entgegen gegangen, um ihnen Brot zu geben. Dabei wurde sie aus dem Fenster des Gutshauses von einem Russen in den Rücken geschossen.
Die große Zerstörung Breslaus fand am 6.Mai 1945 statt. Die Stadt hatte in Friedenszeiten 600.000 Einwohner, sie war zwischenzeitlich bis auf eine Million angewachsen. Flüchtlinge aus allen Richtungen hatten dort eine Zuflucht gesucht. Die Versorgung war sehr schlecht, alle Menschen hatten erhebliche Probleme. Hitler hatte Breslau, die Blume Schlesiens, Ende 1944 zur Festung erklärt, obwohl die Verteidigungsanlagen seit Beginn des Ersten Weltkriegs nicht mehr erneuert worden waren.
Mitte des 14. Jahrhunderts wurde Schlesien und damit auch Breslau Teil des Königreichs Böhmen und gehörte seitdem zum Heiligen Römischen Reich. Zu dieser Zeit regierten die Jagiellonen die Stadt, bevor sie später durch einen Erbverbrüderungsvertrag in die Hände der österreichischen Habsburger fiel. Nach dem Ersten Schlesischen Krieg 1742 übergab Erzherzogin Maria Theresia als Königin von Böhmen den größten Teil des Herzogtums Schlesien an das Königreich Preußen.
Verschiedene Industriebetriebe wie Chemie- und Metallherstellung entstanden um 1850, im Jahr 1919 erfolgte die Gründung der Provinz Niederschlesien, wobei Breslau zur Hauptstadt erklärt wurde. Das Deutsche Kaiserreich war zerfallen. Breslau liegt an der Oder und ihren vier Nebenflüssen südlich des Katzengebirges. Die Stadt befindet sich zwischen einer großen Anzahl von Kanälen und verteilt sich auf zwölf Inseln, die mit tatsächlich 112 Brücken verbunden sind.
Einige Flüchtlinge verließen die Stadt noch rechtzeitig, für viele war es jedoch zu spät. Die deutschen Truppen waren ausgelaugt und dem Ansturm der sowjetischen Übermacht nicht mehr gewachsen. Gauleiter Hanke, der Statthalter und Kommandant, gab nicht auf, und so kamen mehr Menschen ums Leben als nötig. Breslau wurde zu siebzig Prozent zerstört und es gab über 200.000 Opfer.
Es war der 8. Mai 1945. Ich weiß nicht, ob jemand in meiner Umgebung das Tagesdatum wusste, ich nicht. Wir waren völlig außerhalb der Zeit und ich dachte, der Schrecken würde nie enden und wir müssten bis zum Lebensende vogelfrei und gefangen zugleich sein.
Vom Kriegsende erfuhren wir von einem russischen Veteran, der das Kühekommando innehatte und bis zur Verladung der Tiere bei uns im Haus wohnte. Wahrscheinlich war er abends zu seiner Einheit nach Oberheidau gegangen und hatte es dort gehört. Tagsüber ließ er sich von den
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