Der 8. Februar (German Edition)
Ukrainerinnen versorgen.
Dieser Veteran rief laut mit russischem Akzent:
„Gitler (Hitler) kapuut, Woina (Krieg) kapuut!“ und ließ sich von uns gratulieren, und wehe, wenn sich nicht gebührend gefreut wurde! Er war ausnahmsweise angetrunken. Vor dem alten Krause hatte ich mehr Angst gehabt als jetzt vor ihm. Der Russe hat uns nie etwas getan, trotzdem war er eine Respektsperson und es war nicht mit ihm zu spaßen, denn er hatte ein Gewehr und wir wollten seine Geduld nicht auf die Probe stellen.
Wir gingen zu Neumanns aufs Plumpsklosett und benutzten Buchseiten als Toilettenpapier. Das Häuschen befand sich gegenüber und wir mussten die gefährliche Straße überqueren. Kleine Geschäfte wurden im Eimer erledigt. Später machte Mama ein Plumpsklo in dem dritten Arbeiterhaus auf unserem Grundstück sauber, das wir dann benutzten. Wenn Ruth gehen musste, wurde erst kontrolliert, ob niemand in der Nähe war, da Vergewaltigungen immer noch an der Tagesordnung waren.
Vielleicht zwei Wochen später sah Ruth vom Fenster im ersten Stock unseres Hauses eine Kolonne auf der Straße von Parchwitz herankommen und in unsere Privatstraße einbiegen. Näher kommend erkannte sie etwa fünfzig Frauen, die zu zweit nebeneinander gingen. An der Spitze und am Ende des Zuges befanden sich jeweils eine Beutekutsche, von kleinen Pferden gezogen. In jeder Kutsche saßen drei russische Soldaten mit Maschinenpistolen. Es handelte sich um Mädchen im Alter von achtzehn bis einundzwanzig Jahren in zerrissener Kleidung, die meisten barfuß und völlig erschöpft. Einige setzten sich auf die blanke Erde im Hof, zwei Mädchen lagen auf dem Boden, andere versuchten sich um sie zu kümmern.
Es war gegen Abend und die Soldaten befahlen den Mädchen, in eine unserer Scheunen zu gehen, die jetzt fast leer war, denn alle Kaninchenfelle waren von den Sowjets abgeholt worden. Zwei Russen kamen die Treppe zu uns herauf, Ruth war inzwischen im Versteck verschwunden, und beschlagnahmten Großmutter Paulines Wohnzimmer. Sie rückten den Tisch in die Mitte des Raumes und bedeuteten uns zu verschwinden. Unser Schlafzimmer befand sich hinter dem Wohnzimmer und wir gingen zu Ruth, die sich dort versteckt hielt. Diese Nacht werde ich Zeit meines Lebens nicht vergessen: Die Soldaten brachten vier Mädchen herauf, gaben ihnen zu essen und Alkohol zu trinken. Ich weiß gar nicht, ob die Mädchen gezwungen wurden, den Alkohol zu trinken oder ob sie ihn freiwillig tranken, weil sie wussten, was geschehen würde. Wir hörten nebenan Singen, Grölen, Schreie. Ein Mädchen schrie:
„Du Schwein, du brichst mir das Kreuz!“
Es waren Mädchen vom Reichs-Arbeits-Dienst, die keine Chance zur Flucht hatten. Die Vergewaltigungen nahmen kein Ende und wir hatten eine Todesangst, dass einer die Tür zu uns öffnete.
Irgendwann wurde es still und ich schlief zitternd ein. Wir kamen erst am folgenden Morgen heraus, nachdem Mama leise die Tür einen Spalt breit aufmachte und sah, dass niemand mehr betrunken herumlag. Das Wohnzimmer befand sich in ziemlicher Unordnung, es roch nach Schnaps und altem Schweiß, ich wollte nichts anfassen. Auf der einen Seite stand das Sofa, auf dem ich meine Großmutter das letzte Mal gesehen hatte.
Die oben genannten Mädchen kamen aus der Festung Breslau und waren auf dem Weg nach Liegnitz. Sie wurden dann genau wie Papa nach Sibirien abtransportiert. Anita Pohl, der Tochter des Dachdeckermeisters aus Parchwitz, erging es so ähnlich und auch sie wurde ins eisige Sibirien verschleppt.
Außer dass der Krieg zu Ende war, wussten wir vom übrigen Deutschland so gut wie nichts. Zurückkehrende Flüchtlinge berichteten, was sie gehört hatten, im Grunde Gerüchte. Eines dieser Gerüchte, an das ich mich erinnern kann, war, dass die Chinesen kämen und deutsche Frauen heiraten sollten. Es gab haarsträubende Geschichten und wir wussten nie, wie groß der Wahrheitsgehalt war.
11. Der Schlag ins Gesicht
Eine polnische Familie mit zehn Personen kam im Mai 1945 zu Dittrichs ins Haus und richtete sich dort ein. Dittrichs zeigten den neuen Mitbewohnern, wie man eine Landwirtschaft betreibt. Es waren wohl Städter, denn sie mussten erst alles lernen. Die Polen suchten sich vorwiegend kleine Landwirtschaften und ließen sich dort nieder. Ich erinnere mich noch, dass bei Dittrichs Erdbeeren angepflanzt wurden, die sie aber nicht selbst essen konnten, weil sie sich der neue polnische
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