Der 8. Februar (German Edition)
und handelten nach eigenem und illegalem Ermessen. Sie ernannten sich selbst zu provisorischen Verwaltern und sammelten die etwa sechzig Hausbewohner ein. Die meisten von ihnen waren nach der Evakuierung zurückgekommen.
Wir wurden vertrieben und bei dieser Gelegenheit verloren wir schon den größten Teil unserer vorher geretteten Habe. Wir hatten keinen Handwagen, sondern nur noch eine einrädrige Karre, die ein Geschenk des Stellmachers Karl an Ruth war. Diese grüne Kinderkarre trug immerhin fünfzig Kilogramm. Wir hatten noch eine Art Wagen zum Ziehen, den uns Karl aus einem Kinderwagen-Untergestell gebastelt hatte. In der Gerberei hatte er eine leichte Holzplatte und ein paar Stricke gefunden, mit der er eine Plattform schaffte. Darauf wurden zwei Jutesäcke mit Federbetten und Kleidung gebunden. Mama schob die Kinderkarre, Ruth und ich zogen den Wagen. Mama und wir drei Kinder verließen unser Haus. Dittrichs hatten noch zwei Ziegen bis zu diesem Tag, doch ein paar Polen nahmen ihnen die Tiere weg.
Schon kurz nach dem Antritt des Weges sahen wir Rauch aus dem Haus der Familie Tomczak aufsteigen und es wurden mehrere Leichen herausgetragen. Hier handelte es sich um einen Familienselbstmord, der vom Vater vorbereitet worden war. Er hatte seiner Frau und den kleinen Kindern Gift gegeben, für ihn selbst reichte die Dosis nicht mehr und er überlebte. Seine siebzehnjährige Tochter Ursula hatte sich geweigert das Gift einzunehmen und beide schlossen sich unserem Zug an, wobei Ursula mit unserer Familie ging.
Es wurde befohlen, die nächsten beiden Nächte in Oberheidau auf einer großen Wiese zu verbringen. Hans Krause war nachgekommen. Er hatte mit Hilfe seiner polnischen Sprachkenntnisse versichert, er habe polnische Vorfahren und durfte vorerst bleiben. Später musste er nachkommen, es wurde keine Ausnahme gemacht. Er hatte sich aus der Vorderachse und der Deichsel unserer Kutsche eine Karre gebaut und darauf seine Säcke mit Kleidung und Bettzeug gebunden.
Ein junger polnischer Soldat aus der Wachmannschaft entdeckte mich und behauptete, ich sei seine Schwester. Tatsächlich zeigte er Mama und mir das Foto eines Mädchens im Kommunionkleid, das mir sehr ähnlich sah. Was sollte nun geschehen? Er nahm mich bei der Hand und führte mich weg. Ich bekam Angst. Zu meiner Überraschung durfte ich in dieser regnerischen Nacht mit den älteren Leuten im nächstgelegenen Haus schlafen, während alle anderen auf der Wiese kampierten. Mit Erlaubnis der Wachen durften Inge Hauke, Ilse Grosser und ich nochmal zurückgehen und Dörrgemüse aus Dittrichs Haus holen. An die anderen Nächte während des Marsches nach Wolfshayn erinnere ich mich nicht mehr so gut. Sie verliefen wohl ohne besondere Vorkommnisse. Zu essen bekamen wir nichts, alle hatten Hunger und Durst. Mama hatte noch einen Rest selbstgebackenes Brot und ein Stück Speck von vielleicht 500g mit Schwarte im Gepäck versteckt.
In Wolfshayn gab es ein verlassenes Schloss mit großer, sehr gut ausgestatteter Küche. Mama blickte sich um, und fand eine schöne Teekanne, die sie sich schnell einsteckte. Wir hatten keine Erlaubnis, in die anderen Räume zu gehen und schlugen unser Lager im Schlosspark auf. Lager zu sagen ist schon übertrieben. Wir hatten ja nicht mehr viel und legten uns auf das Gras. Zum Glück war es Sommer und die Nacht war nicht zu kalt. Ich war müde und schlief bald ein, bin mir aber nicht sicher, ob Mama auch schlafen konnte. Am nächsten Morgen wachte ich mit nassem Gesicht auf und merkte, dass sich Wasser in einer Mulde auf dem Oberbett gesammelt hatte. Am Tage trocknete es wieder und wir blieben immer bei unseren Sachen sitzen, denn wir wollten nicht noch mehr verlieren. In der folgenden Nacht durften wir ins Schloss umziehen, in dem Mama ein kleines Zimmer für uns fand und wir uns notdürftig einrichteten.
Am dritten Tag sahen wir eine Herde Kühe auf uns zukommen, die von Ukrainerinnen getrieben wurden. Sie hatten offensichtlich ein paar Schwierigkeiten mit den Tieren und ich konnte nicht anders als einzugreifen. Ich half ihnen, die Kühe zusammenzutreiben und zum Stillstehen zu bringen. Auf dem Schlossgelände befand sich noch eine Zentrifuge, mit der die Milch von der Sahne getrennt werden konnte. Eine der Ukrainerinnen gab mir als Dank einen Becher Sahne, den ich mit meiner Familie teilen wollte. Die Frau ließ mich aber nicht gehen, sondern bestand darauf, dass ich den Becher gleich austrank.
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