Der 8. Februar (German Edition)
zu essen bekommen. Die deutschen Feldarbeiter aus dem Dorf aßen mit diesem Erntekommando am selben Tisch. Ich bekam auch eine Suppe und ein Stück Brot. Krause hackte dort Holz um sich eine Mahlzeit zu verdienen. Eines Tages kam er nach Hause gewankt, Blut rann über sein Gesicht und ohne ein Wort zu verlieren zog er sich in sein Zimmer zurück. Von anderen Zwangsarbeitern hörten wir, dass er beim Stehlen eines Brotes erwischt worden und ziemlich böse zusammengeschlagen worden war.
Wir hatten keine Zentralheizung, sondern große Kachelöfen in den Zimmern. Im Dachgeschoss gab es transportable Öfen, die mit Holz, Kohle oder Briketts beheizt wurden. Ich musste also das Holz aus dem Ziegenstall holen, wo es für unsere Holzgasautos lagerte und den halben Stall einnahm. Laut mit den Eimern klappernd ging ich immer in den Stall, seitdem ich einmal eine Ratte hatte vorbeihuschen sehen. Die Kohle befand sich in dem unbeleuchteten Keller, wo es kein elektrisches Licht gab. In Ermangelung an Kerzen war es dunkel und außerdem war die Kohle zu schwer für mich. Sie wurde deswegen von Mama geholt.
Eines Tages im Sommer wurden plötzlich die Kühe aus den Ställen geholt. Herr Menzel und Herr Jungfer, zwei ältere Männer zwischen 60 und 70 Jahren, wurden mit Ruth aufgefordert, die Kühe aus dem Hof zu treiben und mit einem Kommando russischer Soldaten zur Verladung in den Osten zu bringen. Menzels Kuh verblieb bei dem Polen, der in seinem Haus wohnte. Ruth ging unter Zwang, Widerspruch war tödlich. Wie muss Mama sich gefühlt haben? Ich weiß noch, was ich fühlte, erst Papa und jetzt Ruth. Wann werden wir sie wiedersehen? Vielleicht nie mehr...
Sie machten sich auf den Weg und als es dunkel wurde, sagte Herr Menzel zu Ruth:
„Wir dürfen nicht über die Oder! Die Brücken sind bewacht. Wir müssen hier weg!”
Im letzten Dorf vor dem großen Fluss gaben sie sich verabredete Zeichen, Ruth sollte sich auf der Suche nach einer angeblich verlorenen Kuh in der Ruine eines Hauses verstecken, die Männer sollten in der Dunkelheit verschwinden. Es war ein schreckliches Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, mit der Aussicht erschossen zu werden. Der Plan war natürlich risikoreich, aber die drei setzten alles auf eine Karte. Häuserruinen gab es genug und der geeignete Moment kam. Zum Glück hatte Ruth nichts Weißes an, das trotz schlechten Lichts immer noch gut gesehen werden konnte. Jetzt oder nie, dachte Ruth und fasste ihren Mut zusammen. Sie bog in die Dunkelheit ab, rannte los und versteckte sich wie verabredet. Kurz darauf taten die beiden Männer das Gleiche, hielten sich geduckt und warteten ab. Die nächsten Sekunden würden über Leben und Tod entscheiden. Noch wurde ihr Verschwinden nicht bemerkt. Die ganze Gruppe zog vorbei, die Wolken bewegten sich nicht, es blieb dunkel. Ruth traute sich kaum zu atmen. Noch immer fiel kein Schuss, die beiden anderen wurden auch noch nicht entdeckt. Dann hörte sie deutsche Stimmen, leise flüsternd. Menzel und Jungfer kamen näher und sagten, sie solle leise herauskommen. Im Schutze der Nacht machten sie sich auf den Heimweg, der Plan war gelungen. Noch vor Mitternacht erreichten sie Heidau.
Es waren immer noch Posten bei uns stationiert und so konnte Ruth nicht zu uns ins Haus kommen, sondern musste bei den Nachbarn Jungfer schlafen. Der Posten kam nach zwei Tagen zu Mama und sagte:
„Rutka zurück, bei Jungfer schlefa machen.“
Mama tat so, als ob sie nichts davon wüsste, dabei hatte Hilda Jungfer ihr schon Bescheid gesagt.
Der Posten musste wohl Nachricht bekommen haben, dass die Kühe am Bestimmungsort eingetroffen waren, aber da drei Treiber fehlten, drohte er uns am nächsten Morgen. Wir hatten Glück, es blieb bei der Drohung und Ruth konnte nach einigen Tagen wieder zu uns ins Haus kommen, weil das Kommando an einen anderen Ort verlegt wurde. Wir waren heilfroh, sie unbeschadet wiederzusehen. Sobald unser Haus von den Ukrainerinnen verlassen wurde, weil sie mit den Kühen abtransportiert worden waren, zogen wir in unsere Küche im Erdgeschoss und Mama gab Krause nichts mehr zu essen. Gezwungenermaßen musste er sich nun selbst kümmern. Mama reinigte das Elternschlafzimmer, meine beiden Schwestern schliefen bei ihr und ich auf einer Matratze davor. Die Russen hatten auch hier ihre Exkremente hinterlassen und fast das ganze Zimmer ruiniert.
12. Der lange Marsch
Eine ganze Reihe polnischer Soldaten kamen noch nach Heidau
Weitere Kostenlose Bücher