Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der 8. Februar (German Edition)

Der 8. Februar (German Edition)

Titel: Der 8. Februar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeron North
Vom Netzwerk:
öffnen musste. Mama überraschte es keineswegs, dass sich die verschwundene Schere obenauf befand. Die Frau murmelte etwas von Versehen und entschuldigte sich mit rotem Kopf. Sie nahm ihr Gepäck und verließ das Haus. Wortlos legte Mama die Schere wieder in die Schublade der Nähmaschine.
       In unserem Dorf gab es eine Gurkensortieranlage, die natürlich auch nicht mehr in Betrieb war. Ein paar von uns holten dort zwei Böcke und einen Gitterrahmen für die folgende Aktion. Es gab noch alte Kartoffeln aus dem Vorjahr und wir wollten sie nicht verkommen lassen. Wir Kinder drehten sie ungekocht durch den Fleischwolf und gaben den Brei in saubere Tücher, die dann wie ein Beutel zusammengebunden wurden. Der Beutel wurde über einem Eimer aufgehängt, sodass die Flüssigkeit aufgefangen werden konnte. Die Stärke setzte sich auf dem Boden ab, und das Wasser wurde nach gegebener Zeit vorsichtig abgeschüttet. Dann wurde die Stärke auf der mit Tüchern bedeckten Stellage in der Sonne getrocknet. Mehrere Zentner alter Kartoffeln wurden so verarbeitet, allerdings war der Ertrag gering. Das Stärkemehl wurde meist den Suppen beigemischt.
       Mama konnte viele Wochen nicht mehr richtig schlafen und ich hatte große Angst um sie, weil sie sehr elend aussah. Ich befürchtete, sie würde sterben, denn sie hatte sehr an Gewicht verloren. Ihre Wangen waren eingefallen und ihre Augen hatten dunkle Ränder. Ich wusste keinen Rat. Da sah zum Glück Friedel Obst bei uns herein, die mit einer kleinen Gruppe wieder nach Heidau zurückgekommen war. Sie gab Mama ein Fläschchen Baldriantropfen und ab da ging es wieder aufwärts mit Mama. Zudem waren wir nicht mehr allein. Friedels Vater, ein alter Bauer, hatte sich auf der Flucht das Leben genommen, nachdem seine Frau gestorben war. Friedel und ihre Schwester Else schliefen ein paar Nächte bei uns, bis sie ihr eigenes Wohnhaus in der Nachbarschaft wieder eingerichtet hatten.
       In allen verlassenen Häusern lagen Möbel, Kleidung und alles Zurückgelassene in heillosem Durcheinander herum, dazwischen Exkremente oder, um es deutlicher zu sagen, die Sowjets hatten jeden Raum zugeschissen. Alles musste erst einmal auf den Mist geworfen und die Möbel abgewaschen werden. Unser Büro sah auch so aus, deshalb hatte keiner von uns irgendwelche Ausweispapiere, oder hatte Papa sie verbrannt, bevor die Russen kamen? Jedenfalls weiß ich, dass er ein Hitlerbild, das jeder Haushalt und jedes Büro haben musste, und seine SA -Uniform im Kessel der Fabrik verbrannt hatte, ehe die Russen kamen. Jetzt gab es keine Lebensmittel oder andere nötigen Dinge mehr für Deutsche zu kaufen.
       Es ist wohl der Zeitpunkt gekommen, um noch über Hans Krause zu berichten. Ich weiß nicht genau, wie ich dieses Ungeheuer beschreiben soll. Er war damals etwa siebzig Jahre, groß und gewichtig mit einem verhältnismäßig kleinen Glatzkopf und einem dickem Bauch. Die Hosen passten aber, also musste er den Bauch schon vor dem Krieg gehabt haben. Später im Sommer 1945 schlotterten sie ihm um den verlorenen Bauch. Wir sollten ihn Krause-Opa nennen und taten es auch. Er war so etwas wie ein Anhängsel von unserer Großmutter. Als wir seine Tücke erkannt hatten, nannten wir ihn unter uns nur „Box“, nach einem Boxerhund. Seinen Schreibtisch durften Ursula und ich nicht berühren, er stand in Großmutters Wohnzimmer und hatte beneidenswert viele grüne, spitze Bleistifte in einer länglichen Schale liegen, in Reih und Glied wie Soldaten.
       Krause begann uns zu schikanieren, nachdem Papa abgeholt worden war. Er schickte uns nach Holz und Wasser, was immer eine größere Aktion war.
    „Inge, kein Holz, keine Kohlen da,“ rief er laut.
    Ruth sollte Wasser holen. Da ist Mama meistens gegangen, weil Ruth versteckt werden musste. Mit Mama hatte er anderes vor und gab nicht auf.
       Der Brunnen war im Garten und dort konnte man mit dem Eimer, der an einer Fahnenstange eingehängt war, Wasser schöpfen. Dabei wurde der Eimer hin- und herbewegt, und manchmal fiel er einfach ins Wasser und musste erst wieder geangelt werden. Damit rührten wir den Boden auf und warteten, bis das Wasser sich beruhigte und wieder klar wurde. Der Brunnen war bis zum Einmarsch der Russen außer Betrieb, denn wir hatten ja eine Wasserleitung im Haus.
       In dieser Zeit ging ich zu dem Russenkommando auf den Hof Pirl Kartoffeln schälen, wo mehrere deutsche Frauen Suppe kochten. Mama sagte, ich könne mitkommen und etwas

Weitere Kostenlose Bücher